Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
entwickelte Magie nicht von Technologie unterscheiden lässt. Allerdings muss man, soweit ich weiß, kein Mantra sprechen, damit ein Motor anspringt, obwohl das manche tun.«
Trotz allem fand Marjorie diese sonderbare Spiegel-Welt recht amüsant, gleichzeitig aber auch erstaunlich und verwirrend. Als gute Bibliothekarin nahm sie alles zur Kenntnis und fragte sich, ob es einen Zustand gab, der dazwischen lag, eine Art abstruse Verstaunlichkeit , hervorgerufen von etwas so Seltsamem, dass man den eigenen Augen nicht zu trauen wagte. »Da Sie gerade davon sprechen, Erzkanzler …«, sagte sie. »Ich hatte einmal einen sehr alten Morris Minor, ein Erbstück meines Vaters, der ihn jeden Sonntag mit religiöser Hingabe wusch und auf Latein verfluchte, wenn er einen ›Dickkopf‹ bekam, wie mein Vater es nannte. Manchmal sprang der Motor nur an, wenn man ihm bestimmte Lieder aus dem Gesangbuch vorsang. Mit ›Freuet euch der schönen Erde‹ kam man sogar an einem frostigen Morgen weiter. Mein Vater war Pfarrer, und er glaubte offenbar wirklich an so etwas wie Leben selbst in den unwahrscheinlichsten Dingen.«
»Ah ja, der fast heidnische Gott, den man in bestimmten Regionen der Erde verehrt, insbesondere in England, wo die Menschen Lieder voller Anspielungen auf die Natur, lebende Geschöpfe und wachsende Pflanzen singen – ein Gott der Grünen und der Leute mit grünem Daumen. Wie gesagt, wir haben uns eingehend mit Ihrer Welt befasst, dabei aber vielleicht den einen oder anderen wichtigen Punkt übersehen.« Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Erzkanzlers. »Vielleicht, gnä Frau, sollte ich Ihnen Ihre Welt so zeigen, wie sie uns erscheint. Wenn Sie so freundlich wären, mir zu folgen … Ich denke, es wartet eine … aufschlussreiche Erfahrung auf Sie.«
Die sogenannte Unsichtbare Universität, die gar nicht unsichtbar war, erschien Marjorie Daw sehr groß. Offenbar erstreckte sie sich weit in alle Richtungen, insbesondere nach unten. Wo auch immer sich das Ziel befinden mochte, der Weg dorthin erwies sich als recht lang, und die Flure füllten sich bald mit tropfenden Warmwasserrohren und weiteren Leuten, die es sehr eilig hatten, unter ihnen – wenn sie sich nicht sehr irrte – mindestens ein Tintenfisch. Nach einer Weile klopfte Ridcully an eine Tür, die fast ganz bedeckt war von Schildern mit Ehrentiteln und Berufsbezeichnungen. Zu beiden Seiten der Tür bemerkte Marjorie eine große Anzahl von Eimern, die mit Kohle gefüllt waren. Als sie eintraten, schlug ihnen enorme Hitze entgegen, und in dieser Hitze stand ein schmutziger Mann in mittleren Jahren, der in Panik geriet, als er Marjorie erblickte.
Ridcully räusperte sich laut. »Professor Rincewind, Frau Daw möchte die Rundwelt sehen«, verkündete er. »Bitte, sag jetzt nicht, dass du sie erneut verlegt hast.«
»Beim letzten Mal war es nicht meine Schuld, wirklich nicht, Herr!«, erwiderte Rincewind. »Sie tragen sie aus und vergessen dann, was sie mit ihr gemacht haben. Und dann fällt ihnen ein, dass sie sie ausgeliehen haben, ohne mir Bescheid zu geben. Letzte Woche habe ich sie in einer Pfandleihe auf dem Schweinestallhügel aufgespürt. Studenten? Man verschone mich mit ihnen! Ich hab sie natürlich zurückgeholt, und seitdem hat sie niemand mehr von mir bekommen. Als ob das noch nicht genug wäre, Erzkanzler … Gerade heute haben die Omnianer wieder danach verlangt. Nicht diejenigen von ihnen, die fast sympathisch sind … du weißt schon, die von der Hygienearmee, sind eigentlich ein liebenswerter Haufen. Nein! Ich meine die Neuen, die gern zu den Zeiten von Vorbis zurückkehren würden, wenn sie könnten. Sind inzwischen recht gereizt , die Burschen, wenn du verstehst, was ich meine.« Er warf Marjorie einen unsteten Blick zu und sah dann sofort wieder den Erzkanzler an.
Ridcully trat zwischen die beiden. »Professor Rincewind, diese Person ist tatsächlich eine Frau. Ich nehme an, du bist schon einmal in der Nähe einer Frau gewesen – es sei denn, jemand hat dich mithilfe eines Baukastens zusammengesetzt. Außerdem ist sie mein Gast. Bitte, gib die Rundwelt deinem Erzkanzler, sei so nett! Schließlich bin ich dein Erzkanzler.« Er hob die Hand zum Bart …
Rincewind nickte hastig. »Ja, Herr, natürlich, Herr. Ponder Stibbons hat mir gesagt, dass ich der Rundwelt in deinem Auftrag einen neuerlichen Besuch abstatten soll. Stimmt das?«
»Natürlich! Sobald der Dekan hier ist, sollst du mit ihm aufbrechen und dich
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