Das juengste Gericht
verboten hat. So erfuhren sie natürlich häufig früher als andere Anleger, wenn in Firmen Veränderungen entschieden wurden, die deren Aktienwert steigerten oder senkten. Bevor andere Börsianer reagieren konnten, haben die Onkel ihre Informationen ausgenutzt und die entsprechenden Wertpapiere gekauft oder veräußert, je nach absehbarer Kursentwicklung.«
»Wann fanden denn diese Manipulationen statt? Das war doch vor einigen Jahren noch gar nicht strafbar.«
Nachtigall nickte. »Das stimmt. Sie haben aber im Zusammenhang damit Kunden falsch beraten, unrichtige Nachrichten ausgestreut und die Anleger belogen und betrogen. Das war auch damals schon unter Strafe gestellt.«
»Gab es ein Ermittlungsverfahren?«
»Jawohl. Genau da zeigt sich der Unterschied zu dem Fall, den ich in Sachen Beuchert Jahre später bearbeitet habe. Bei dem damaligen Verfahren gegen die Onkel von Krawinckel soll es politische Einflussnahme gegeben haben. Das weiß ich vom Hörensagen. Immerhin wurde dreimal der zuständige Staatsanwalt ausgetauscht. Bis einer da war, der die angestaubte Sache so lange liegen gelassen hat, bis sie wegen Verjährung eingestellt werden konnte. So sind meine Bemerkungen von vorhin zu verstehen. Derart dreiste politische Einmischungen hat es meines Wissens seit den siebziger Jahren nicht mehr gegeben.«
»Trotzdem. Ich kann die 68er-Bewegung nicht über den grünen Klee glorifizieren. Natürlich war das Eintreten für Frieden und Völkerverständigung eine fantastische Sache. Wann gab es so etwas schon einmal? Für mich bleibt dennoch eine Menge an Fragen offen. Ob die antiautoritäre Erziehung dieser Zeit das Nonplusultra war, wage ich zu bezweifeln. Sie hat viel Schaden zurückgelassen. Vor allem kann ich nicht abschließend beantworten, ob diese Bewegung nicht die spätere Erstarkung der RAF ermöglicht oder zumindest begünstigt hat.«
Das Telefon klingelte. Nachtigall nahm das Gespräch an, hörte kurz zu und sagte: »Das mache ich.« Er wandte sich Schultz mit einem bedauernden Achselzucken zu. »Das war ein Anruf aus dem Kleinen Sitzungssaal. Die Ministerin hat ausrichten lassen, dass sie in etwa zehn Minuten da sein wird. Du möchtest bitte jetzt rüberkommen, falls sie doch früher als angekündigt eintreffen sollte.«
Schultz stand auf und streckte Nachtigall die Hand entgegen.
»Tschüss, Thilo. Schade, dass ich gehen muss. Ich hätte noch einige Fragen zu den ganzen Abläufen gehabt.«
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Wir könnten uns mal wieder im Club Voltaire in der Kleinen Hochstraße treffen, unserem Stammquartier der Altlinken«, sagte Nachtigall und begleitete Schultz zur Tür.
Als Schultz im Kleinen Sitzungssaal ankam, standen Hübsch, Beilstein und Nüchtern in gespannter Erwartung um den Tisch herum und warteten. Keiner sprach ein Wort.
21. Kapitel
Der freitägliche Erzeugermarkt der Bauern aus der Rhön und dem Vogelsberg in Frankfurts Schillerstraße quoll über vor Passanten und Kunden aller Altersschichten. Mitten auf der Fußgängerzone stand unschlüssig eine ältere Dame, ordnete mit der Hand ihre grauen Löckchen und betrachtete die herzhaften Warenangebote.
»Kommen Sie! Probieren Sie unseren vollreifen Ziegencamembert. Wie Sahne!«, rief der rotnasige dicke Betreiber des Käsestands ihr zu.
Die Dame schüttelte sich nur und rümpfte die Nase. Schnell drehte sie sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Von dort wehte ein intensiver Geruch nach Fisch zu ihr herüber. Angeekelt hielt sie sich die Nase zu und beschleunigte ihren Schritt Richtung Hauptwache. Von der nahe gelegenen Katharinenkirche schlug es gerade ein Uhr.
Der Mann neben dem Fischstand vor dem bronzenen Skulpturensemble »Bulle und Bär« nahm von diesem Geschehen keine Notiz. Er lehnte lässig mit dem Rücken gegen die Statue des Bullen, mit einem Fuß stützte er sich an der Skulptur ab. Eher gelangweilt betrachtete er das künstlerische Gegenstück dazu, den wuchtigen Bären und in dessen Hintergrund die Frankfurter Börse.
Einem Beobachter wäre aufgefallen, dass die Ungezwungenheit des Mannes nur aufgesetzt war. Seine hin und her schweifenden Blicke verrieten äußerste Konzentration. Mehrfach schon hatte er seinen Ärmel zurückgestreift und auf seine Armbanduhr geschaut.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Einladung zu einem Treffen, die er ausgesprochen hatte, nicht gefolgt würde. Eindringlich genug war seine Ansprache gewesen. An der Ernsthaftigkeit seines
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