Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
Vom Netzwerk:
anpasste.
    Hinter dem Tresen stand eine männliche, als Marktfrau maskierte Bedienungskraft und wischte sich nach dem Gläserspülen die Hände an der umgebundenen rot-weiß karierten Schürze ab. Sobald die Faschingssaison begonnen hatte, war es immer wieder dieselbe Zeremonie. Die Vereine reservierten nach und nach wesentliche Teile des Lokals und hielten dort ihre vorbereitenden Sitzungen ab.
    Als die Rufe der Gäste immer lauter wurden, knipste der Kellner das Licht aus. Der Lampion beleuchtete nur schemenhaft den weitgehend holzgetäfelten Schankraum und die lachenden Gesichter. Aus vollen Kehlen erschallte die erste Liedstrophe, während der Halbmond quer durch die Gaststätte erst in die eine Ecke und anschließend zur gegenüberliegenden Wand gezogen wurde. Danach schaltete die Bedienung das Licht wieder an.
    Auf einer der Bänke saß Wolfgang Beuchert und zechte schon seit mehr als zwei Stunden. In einer Hand hielt er das typische Apfelweinglas mit dem Rautenmuster, das der Volksmund als Geripptes bezeichnet. Mit der anderen Hand gestikulierte er vor den Augen seines Gegenübers, das äußerlich Karl Valentin bis aufs Haar glich. Beuchert kannte die meisten Leute hier. Die »Germania« war sein Stammlokal, das er regelmäßig aufsuchte. Jeder, der ihn kannte und sprechen wollte, musste nur abends in dieses Lokal gehen.
    Es war bereits nach elf Uhr. Er schwitzte stark und bedauerte, dass zu dieser Jahreszeit eine Bewirtschaftung in dem großen Außenhof vor der Gaststätte nicht in Betracht kam. Ihm war zu heiß. Als wirksames Gegenmittel fand er nur den verstärkten Konsum von Apfelwein. Mit den Menschen um ihn herum, alles aus seiner Sicht alte Bekannte, hatte er den Apfelwein im traditionellen blau-weißen Krug, dem Bembel, bestellt. Gelegentlich erbat Beuchert ergänzend noch ein Mispelchen, einen Calvados mit eingelegter Mispel. Er war der festen Meinung, dass dies die Verdauung der großen Schweinshaxe, die er zuvor verdrückt hatte, nachhaltig fördern würde.
    »Wenn ich es dir sage, Heiner, sie hätten am Samstag gewinnen können. Ich war in der Commerzbank Arena und habe das Spiel mit eigenen Augen gesehen. Bis zur vorletzten Minute hat unsere Eintracht mit einem Tor geführt. Dann hat der Schiedsrichter diesen völlig unberechtigten Elfmeter gegeben«, setzte sich Beuchert gegen die erhebliche Stimmenkulisse durch.
    Der Karl-Valentin-Verschnitt winkte ab. »Das erzählst du mir jede Woche, wenn sie es wieder einmal nicht gepackt haben. Letztlich geht es immer nur darum, den Abstieg zu vermeiden. Viel mehr ist für die Mannschaft nicht drin.«
    Wieder einmal ging das Licht aus und die Gäste besangen den guten Mond. Beuchert setzte eine beleidigte Miene auf und kippte ein Mispelchen ab. »Es macht keinen Sinn, sich mit dir über Fußball zu unterhalten, Heiner. Du verstehst nichts davon.« Heiner zuckte mit den Schultern, lächelte und erhob sein Rautenglas. »Ist doch egal. Prost, Wolfgang. Vertragen wir uns wieder!« Er wartete nicht ab, bis Beuchert mit ihm anstieß, trank das noch halbvolle Glas leer und setzte es hart auf dem Tisch. Seine Augen verdunkelten sich. »Sag mal, Wolfgang, wie bist du eigentlich über den Verlust von Sunita hinweggekommen? Du hingst ja sehr an ihr, obwohl sie nicht deine leibliche Tochter war.
    Viel mehr noch als an dem zweiten Kind, oder?«
    Mit einem schnellen Griff zog sich Beuchert eine Papierserviette aus dem Besteckkasten auf dem Tisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von einer Sekunde auf die andere verfinstert. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Rupa ist nicht Sunita. Sie kann ihre Schwester nicht ersetzen. Sunita war einmalig. Sie hatte so viele Talente. Ich hätte sie besser beschützen müssen. Wenn sie mehr Vertrauen zu mir gehabt hätte und ich nicht so ein Idiot gewesen wäre. Ich weiß nicht, wer sie auf dem Gewissen hat. Das ist ein verdammt schreckliches Gefühl. Es gibt so vieles, was ich gerne ungeschehen machen würde.«
    Heiner konnte ein gewisses Misstrauen auf seinen Gesichtszügen nicht ganz unterdrücken. Dennoch ergriff er Beucherts Hand. »Ein blödes Thema, das ich da angefangen habe. So etwas gehört nicht hierher. Hier will man fröhlich sein und von den Sorgen des Alltags abgelenkt werden. Es tut mir leid, Wolfgang.« Beuchert nickte, zog den Ärmel zurück und blickte auf seine Armbanduhr. »Schon gut. Lass nur. Ich sehe, dass es schon auf Mitternacht zugeht. Zeit zu gehen.« Er drehte

Weitere Kostenlose Bücher