Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
bloß, du hast Angst um mich?«
»Natürlich habe ich Angst! Diese Gegend wimmelt nur so von Taliban. Das sind wilde Tiere. Hast du vergessen, wie sie neulich drei Männer vor den Augen von Abdullah Abdullahs Wahlkampfbeauftragten enthauptet haben? Letztere sollen verrückt geworden sein!«
»Du musst keine Angst haben. Wir sind ja zu mehreren unterwegs. Zumindest fahren wir nicht durchs Hochgebirge. Natürlich werden wir auf Taliban stoßen, aber die fürchte ich weniger als Schnee. Ich habe meine verlässlichsten Leute dabei.«
»Hör auf, Blödsinn zu reden, Osama Kandar! Diese Taliban sind zu allem fähig, und du begibst dich mitten in ihr angestammtes Gebiet!«
»Was ich da tue, ist gar nicht so gefährlich. Auch nicht gefährlicher, als für die RAWA zu arbeiten. Erzähl mir lieber, wie das mit deinen Freundinnen läuft.«
»Der Druck auf uns wächst ständig«, murmelte sie. »Diejenigen, die Meena umgebracht haben, sind noch immer auf freiem Fuß, und ich weiß, dass sie nie gefasst werden. Eine der Frauen aus unserer Vereinigung wurde heute Morgen auf offener Straße in Faisabad mit dem Messer attackiert. Sie dachte, in der tadschikischen Zone sei sie in Sicherheit, doch die Taliban haben sie auch dort aufgespürt. Sie wurde von zwei Kaufleutengerettet, Soldaten hatten die beiden Aggressoren einfach laufen lassen.«
Osama atmete tief das nach frischen Blumen duftende Parfum ein, das seine Frau immer vor dem Zubettgehen auftrug, eine Sitte, welche die Favoritinnen von Reza Schah den gebildeten Afghaninnen beigebracht hatten.
»Ich habe heute Nachmittag mit unserer Tochter gesprochen«, sagte Malalai schließlich. »Ich sage es dir ungern, aber sie will sich scheiden lassen.«
»Scheiden lassen? Aber … was ist denn passiert?«
»Nichts, zumindest nichts, was Charles zu verantworten hätte. Sie ist seiner einfach nur überdrüssig. Sie liebt ihn nicht mehr.«
»Das ist sehr schlimm. Sie sind doch erst seit drei Jahren verheiratet! Eine Frau darf ihren Mann nicht so zurückweisen, wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Dazu hat sie nicht das Recht! Das ist absurd!«
Malalai schmiegte sich an ihn.
»Die jungen Leute sind nicht mehr so wie wir, Osama. Das ganze Leben zusammenbleiben – das wollen sie gar nicht mehr. In Montreal ist sowieso alles anders, das Leben hat einen schnelleren Rhythmus, die Frauen sind autark und wollen ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Eine Scheidung ist heutzutage etwas ganz Normales.«
»Ich bin schockiert!«, stieß Osama hervor. »Was wird aus unserer Enkelin?«
»Sie wird bei ihrer Mutter bleiben. Charles wird für ein paar Monate eine Wohnung in der Nähe von Nita nehmen, und dann weiß ich auch nicht. Er wollte immer in Asien leben, ich weiß nicht, ob er in Montreal bleiben wird, um in der Nähe seiner Tochter zu sein.«
»Ich schäme mich.«
»Dir hat nicht gepasst, dass sie einen Christen geheiratet hat. Du solltest dich freuen!«
»Darum geht es nicht, er ist ihr Mann, sie darf ihn nicht ohne einen triftigen Grund verstoßen. Das verbietet unsere Religion!«
»Sie hat es aber getan. Sie hat ihre Gründe, das reicht.«
»Und wovon will sie leben? Von welchem Geld?«
Malalai stieß das glucksende Lachen aus, das Osama so sehr an ihr liebte.
»Unsere Tochter ist soeben befördert worden, sie ist jetzt Titularprofessorin an der Universität. Mit den Aufträgen im Privatsektor verdient sie viel Geld, viel mehr als wir beide zusammen.«
»Und unser Sohn, hast du von ihm was gehört?«
»Ramazan geht es gut. Er arbeitet demnächst an dem Projekt einer Firma für Wasseraufbereitungsanlagen im Süden Australiens mit. In Tasmanien, glaube ich. Er freut sich darauf.«
»Immer noch keine Heiratspläne?«
»Osama! Er ist gerade mal dreißig. Soll er sich doch noch ein wenig amüsieren!«
Osama murmelte eine undeutliche Antwort, in der von Jugendlichen die Rede war, die nicht wüssten, was für ein Glück sie hatten. Er streckte den Arm aus, um nach einem Glas Wasser zu greifen. Bei dieser Bewegung fiel das Gewehr um, das er neben das Bett gestellt hatte. Malalai schrak zusammen. Osama setzte sich auf die Bettkante und hob das Gewehr auf.
»Ärgerst du dich über die Nachrichten von deiner Tochter?«, fragte Malalai.
»Soll ich mich denn darüber freuen? Eine junge Muslimin sollte sich nicht so benehmen. Das ist nicht in Ordnung!«
»Sei nicht so hart. Unsere Kinder leben so sorglos wie alle jungen Menschen im Westen, nicht mehr
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