Das Känguru-Manifest
Ofen.
»Hast du eigentlich schon ein Geschenk für mich?«, fragt das Känguru unvermittelt.
»Wieso?«, frage ich.
»Na übermorgen ist Weihnachten!«
»Du glaubst doch nicht an Gott & Co.«
»Na und?«, fragt das Känguru.
»Dann gibt es auch keine Geschenke.«
»Nicht witzig«, sagt das Känguru. »Als ob das was miteinander zu tun hätte.«
Es löffelt den Rest Himbeermarmelade aus dem Glas.
»Aber jetzt mal ernsthaft«, sagt es. »Hast du schon ein Geschenk für mich?«
»Vielleicht«, sage ich. »Vielleicht auch nicht.«
»Pah. Ich habe auch vielleicht ein Geschenk für dich. Aber vielleicht auch nicht.«
»Du schenkst mir so einen kleinen Milchaufschäumer«, sage ich.
»Woher weißt du das?«, fragt das Känguru überrascht.
»Du hast ihn zwei Tage neben der Kaffeemaschine liegen lassen, bevor du ihn eingepackt hast.«
»Jetzt, wo du weißt, was ich dir schenke, musst du mir auch sagen, was du mir schenkst.«
»Ich glaube, ich schenke dir einen Geldbeutel.«
»Du schenkst mir einen Beutel?«, fragt das Känguru. »Na super! Wenn ich ein Vogel wär, würdest du mir einen Fluggutschein schenken? Ich brauche keinen Beutel!«
»Tja«, sage ich, »und ich trinke meinen Kaffee immer schwarz!«
»Aber ich nicht!«, murrt das Känguru.
»Tja«, sage ich, »und mein Geldbeutel ist schon ziemlich ramponiert.«
»Pah«, sagt das Känguru. »Dann gebe ich den Aufschäumer halt zurück, und du kriegst gar nix.«
»Pah«, sage ich. »Kommt für mich aufs selbe raus.«
Schweigend sitzen wir uns gegenüber. Das Känguru steht auf, geht zum Kühlschrank und öffnet einen Joghurt.
»Es ist eigentlich nicht gut, so spät noch Milchprodukte zu essen«, sage ich.
»Echt?«, fragt das Känguru. »Warum?«
»Keine Ahnung«, sage ich. »Hab ich mir gerade ausgedacht.«
»Was?«
»Na, wir hatten so ’ne unangenehme Gesprächspause, und solche oder so ähnliche Sachen sagen die Leute immer.«
Z W E I T A G E S P Ä T E R 17
Das Känguru schwankt schon bedrohlich hin und her, wirft sich aber trotzdem noch eine Schnapspraline ein.
»Ich widme dieses köstliche Gebäck Johannes dem Säufer!«, ruft es. »Erfinder des Glühweins – führe uns in Versuchung! Prost! Und jetzt Bescherung!«
»Hier!«, sage ich und reiche dem Känguru sein Geschenk.
»Hier«, sagt das Känguru. »Ich habe auch was für dich besorgt.«
Mit Eifer packt das Känguru sein Geschenk aus.
»Ein Milchaufschäumer!«, ruft es. »Schöne Idee, Alter.«
Ich packe mein Geschenk aus.
»Ein Milchaufschäumer«, sage ich. »Na toll.«
17 Zeitsprung, der: Man kennt diesen Kunstgriff aus Filmen, in denen Regisseur und Drehbuchautor zu faul sind, das Vergehen der Zeit aus Bildern zu entwickeln. Oft soll dem Zuschauer suggeriert werden, dass in der Zwischenzeit nichts Relevantes passiert ist. Das ist hier nicht der Fall. Folgendes ist passiert: Das Känguru trat als Herausforderer um den Titel des Schachboxweltmeisters an. In der Kabine sagte es: »Die Menge ist gegen mich. Aber ich werde sie mit meinen Nehmerqualitäten auf meine Seite ziehen, und in Runde zwölf, wenn er sich schlapp geboxt hat, verpasse ich ihm einen Lucky Punch und gewinne. Das Schachspiel ist kein Problem.« Das Känguru betrat den Ring. Alle jubelten ihm zu. Der Ringrichter eröffnete den Kampf. Das Känguru verlor in der ersten Schachrunde fast alle seine Figuren. In der ersten Boxrunde schlug es einmal zu. Sein Gegner ging zu Boden und stand nicht mehr auf. Das Publikum buhte. »Was denn?«, rief das Känguru. »Was denn?«
»Handle nur nach derjenigen Maxime,
durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« Silvio Berlusconi
Ich sitze auf dem Boden und sortiere meine Strümpfe nach der Zahl ihrer Löcher. Das Känguru fläzt sich mal wieder mit dem Kopf nach unten im Wohnzimmersessel und wirft dabei beharrlich einen Basketball gegen die Wand.
»An die Wand, auf den Boden, in die Pfoten«, sagt es. »An die Wand, auf den Boden …«
»Hör auf damit«, sage ich. »Das nervt total.«
»Das hoffe ich«, sagt das Känguru.
»Ich glaube, der Pinguin ist eh nicht da.«
»Ist heute Wochentag?«, fragt das Känguru.
Ich kucke auf mein Handy.
»Ja.«
»Hm.«
Das Känguru lässt den Ball lustlos zur Seite rollen.
»Gott sei gepriesen!«, ruft die Nachbarin von unten.
Das Känguru nimmt die Fernbedienung und schaltet irgendeinen Dekadenrückblick an.
»Was bezweckst du eigentlich mit deinen Aktionen?«, frage ich.
»Habe ich dir
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