Das Känguru-Manifest
blättert suchend darin herum.
»Genau. Hier schreibt Marx: ›Es ist möglich, dass ich mich blamiere, indes ist dann immer mit einiger Dialektik zu helfen. Ich habe natürlich meine Ausführungen so gehalten, dass ich im umgekehrten Fall auch recht habe.‹« 19
»Es gibt kein soziales Netzwerk im Asozialen«, sage ich.
»So. Oder so ähnlich«, sagt das Känguru. »Ich lese dir mal den neuen Anfang vor:
› Das Asoziale Netzwerk ist eine Anti-Terror-Organisation. Gegen den Terror der Schulen und Fabriken, der Medien und der Regierung, der Leitkultur und des Lobbyismus, der Religion und der Wirtschaft.‹«
»Gegen den Terror des realexistierenden Asozialismus«, sage ich.
»Das ist gut«, sagt das Känguru und macht sich eine Notiz. »Biste dabei?«
»Klaro«, sage ich. »Aber was machen wir dann als Anti-Terror-Organisation? Anti-Terror-Anschläge?«
»Gefällt mir …«, sagt das Känguru. »Aber erst mal muss ich das Manifest fertigschreiben.«
»Brauchste Hilfe?«, frage ich.
»Nee. Es ist eigentlich recht einfach«, sagt das Känguru und deutet auf das vor ihm liegende Penguin-Buch Flexibility & Security . »Ich muss nur Kapitel für Kapitel das Gegenteil von dem schreiben, was in diesem BWL-Lehrbuch gedruckt steht.«
19 K. Marx, Brief an Engels vom 15.8.1857 in: MEW 29, Berlin: Dietz, 1973, S. 161. Anm. des Kängurus
Das Känguru hüpft in einer Skihose durchs Wohnzimmer und schimpft vor sich hin: »… und der blöde Pinguin verstopft uns mit seinen Tiefkühlkostprospekten immer den ganzen Briefkasten. Irgendwann werde ich da mal …« Es verschwindet Richtung Küche. Ich versuche Bukowski, unsere unglaublich durstige Wohnzimmerpflanze, zu gießen, aber die Kanne ist irgendwie verstopft. Eine Skihose? Ich gehe mit der Gießkanne in die Küche. Dort steht das Känguru in einer Skihose vor dem aufgedrehten Gasherd und wärmt sich über der Flamme die Pfoten.
»Findest du eigentlich, dass wir zu wenig heizen?«, frage ich.
»I wo …«, sagt das Känguru. »Ich frier gerne.«
»So kalt isses doch gar nicht«, behaupte ich.
»Das Wasser in deiner Gießkanne ist gefroren«, sagt das Känguru.
»Hm«, sage ich. »Das erklärt einiges.«
Ich stelle die Blechkanne auf den Herd.
»Heizungsluft ist halt nicht gut für mich«, sage ich. »Da kriege ich immer furchtbar trockene Augen.«
»Ja, klar. Kein Problem«, sagt das Känguru. »Wenn ich mich aufwärmen will, kann ich mich ja auf den Balkon stellen.«
»Außerdem musst du bedenken, dass uns jeder verheizte Liter Öl weiter in die Klimakatastrophe befördert.«
»Boah, Alter!«, sagt das Känguru. »Das war fies …«
Kopfschüttelnd dreht es die Gasflamme aus.
»Jetzt soll ich mich auch noch schlecht fühlen, weil ich nicht erfrieren will?«
»Ich dachte nur: Vielleicht frierst du lieber für die Rettung der Welt als für mich«, sage ich.
»Ach«, murrt das Känguru. »Das ist doch sowieso alles Schmu mit dem Klimawandel. Es gibt nämlich genug von der Ölindustrie hervorragend bezahlte Spitzenforscher, die zu viel beruhigenderen Ergebnissen gekommen sind.«
»Und ich habe letztens eine Studie vom Verband der europäischen Kunststofferzeuger über Weichmacher in Plastik gelesen«, sage ich. »Total ungefährlich, das Zeug.«
»Vor diesen Weichmachern hast du wirklich Angst, was?«
»Panische.«
»Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass die US-Kohleindustrie dabei erwischt worden ist, eine Public-Relations-Organisation gegründet zu haben, die eine Lobby-Beratungsfirma beauftragt hat, eine Werbeagentur zu engagieren, die Astroturfing betreibt.«
»Astro was?«, frage ich.
»Astroturfing«, sagt das Känguru. »Der Begriff nimmt Bezug auf den Ausdruck ›Graswurzelbewegung‹, der spontane, in erster Linie von Privatpersonen und nicht von Politikern, Regierungen, Konzernen oder Public-Relations-Firmen getragene Initiativen bezeichnet. AstroTurf ist hingegen ein Markenname für Kunstrasen, wie er in manchen Sportstadien Verwendung findet – ›Astroturfing‹ ist mithin nichts anderes als eine vorgetäuschte Graswurzelbewegung.«
»Hast du das aus Wikipedia auswendig gelernt?«
»Ich habe das da reingeschrieben, Alter!«, sagt das Känguru. »Jedenfalls haben die Leute von dieser Astroturf-Agentur an allerhand Parlamentarier Briefe verschickt, in welchen sie sich als Bürgerinitiativen von Rentnern, Invaliden, Minderheiten et cetera ausgaben. In deren Namen baten sie darum, keine Umweltschutzgesetze zu erlassen, weil die
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