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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Krieg hatte er auf der Flucht vor einer Horde Reptiliendiener die Steilhänge bei Demlarashan erstiegen und die Gebirge von Gergis und der kiriathischen Einöden erkundet, während ihn das hochrangige schuppige Volk gejagt hatte. Wenn es um
Höhen und zweifelhafte Stellen zum Festhalten ging, kannte er keine Nerven. Er hatte schon Gefährlicheres überlebt.
    Zwanzig Fuß unterhalb der Brustwehr der Zitadelle wölbte sich der Felsen nach außen, und das Vorankommen wurde auf einmal bedeutend schwieriger. Die Aushöhlungen und Simse schrumpften auf sparsame fingerbreite Stellen zum Festhalten, die Falten wurden senkrecht und glatt. Er hatte so etwas erwartet, es war die gleiche Felsart wie in Demlarashan, deshalb hatte er es zuvor schon gesehen. Aber in der Dunkelheit musste er sich seine Route vor allem ertasten, und der Winkel, in dem er sich zurücklehnen musste, forderte immer mehr Tribut von seinen Händen, die sowieso schon taub waren und schmerzten, und wegen der Nähe zur Brustwehr konnte er sich nicht viel Lärm erlauben.
    Keuchend überwand er die Wölbung des Bauchs, klammerte sich mit den Fingerspitzen fest und kämpfte mit einem Stiefel um Halt, während das andere Bein schwer herabhing. Schweiß in den Augen, Finger, die jedes Mal einen winzigen Bruchteil weiter wegrutschten, wenn er zupackte – er entdeckte den gezackten Riss in der Wehrmauer, sah, dass er zu weit links ausgekommen war. Zwischen sich und der Stelle, wo er hinmusste, wölbte sich der Fels glatt und weiß im Bandlicht, bar jeglicher Kontur. Oh, okay, da drüben zeigte die Oberfläche einen Riss, wahrscheinlich Folge derselben Eruption und desselben Erdbebens, die den Stein der Brustwehr oben hatten zersplittern lassen, aber bis dorthin war es verdammt und verflucht weit! Die Finger rutschten ihm jetzt weg, er zappelte mit dem Fuß umher, knallte heftig mit einem Zeh gegen einen Vorsprung, zappelte wieder umher, fand kurz Halt, drückte sich ab und sprang hinüber zu dem Spalt …
    Verfehlte ihn.

    Er sah seine Finger die Kante des Spalts streifen, sah sie daneben greifen, und er wurde völlig leer. Fels sauste an seinen Augen vorbei, er spürte die Eingeweide in der Kehle …
    Etwas Dunkles, etwas Kaltes – es griff nach ihm.
    Salz im Wind, sagte eine hohe, eisige Stimme von irgendwoher. Draußen im Sumpf.
    Und später würde er beschwören, er habe gespürt, wie sich dünne, eiskalte Finger um sein Handgelenk legten und die Hand nach oben in die Sicherheit des Spalts zogen.
     
    Die Wolken um sein Bewusstsein klarten auf, wie von starken Winden beiseite gefegt. Ein tiefes Pulsieren in Hals und Brust. Er hing an einer Hand an dem Spalt im Fels, schwang nach rechts hinüber, klemmte beide Füße ungeschickt unten hinein. Er hatte keine Ahnung, wie er das hinbekommen hatte.
    Ist doch egal, Gil. Weiter!
    Hand über Hand, den Spalt hinauf, nach rechts gebeugt, die Stiefel unter sich in irgendeinem völlig verdrehten Winkel eingehakt. Mühsam verhinderte er, dass sein Körper zur Seite kippte und sich von der Wand löste. Noch fünf Fuß klettern, dann konnte er eine Hand auf den ersten der geborstenen, behauenen Steinblöcke in der Brustwehr legen. Er entdeckte eine Stelle, wo sich ein ganzer Block gelockert hatte, hinabgestürzt war und im Mauerwerk ein klaffendes Loch zurückgelassen hatte. Darüber war die Mauer entlang des Risses auseinander gefallen. Er konnte mit beiden Händen zupacken, zog sich bis zur Brust in den Spalt, holte dann erschöpft den Rest seines Körpers nach und quetschte sich seitlich in die Lücke.
    »Ein Kinderspiel!« Er sagte es heftig keuchend zu sich selbst und kicherte leise. »Hübscher. Ruhiger. Kleiner Anstieg.«
    Zwischen den zerbrochenen Mauerteilen verkeilt, stieg er weiter
hinauf und hielt immer wieder in der Bewegung inne, um die Spitze des Rabenfreunds loszulösen. Schließlich konnte er den Kopf über die Wehrmauer stecken. Ein dreieckiger Innenhof unten, leer, ein trockener Springbrunnen in der Mitte und ein überdachter Gang auf der anderen Seite. Die Erinnerung an die Karte sagte ihm, dass es links einen Ausgang in einen Flur gab.
    Wie versprochen, weit und breit kein Wächter.
    Er gab sich eine Minute, um seine Kampfkraft und Gelassenheit zurückzugewinnen, schwang sich dann über die Mauer und ließ sich auf alle viere in den Innenhof fallen. Rasch schlüpfte er zu dem überdachten Gang hinüber, und dort verschluckten ihn die Schatten.

41
    Lampenlicht glänzte auf den schwarzen eisernen

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