Das kalte Schwert

halten ließ. Was Jhirals Meuchelmörder auch aufgehalten hat, es wird auch dich erwarten. Pass bloß auf dich auf da drin, Gil. Mach dir nichts vor!
    Wer, ich?
    Er hatte Rakan zugeblinzelt, aber der junge Kommandant hatte nur besorgt beiseite gesehen. Und dann hatten die drei gemeinsam schweigend ihre Reittiere aus dem Palasttor zu Taran Alman hinausgeführt.
    »… ist auch Euer bester Weg nach draußen«, schloss der Königsfänger.
»Auf dieser Seite des Bergfrieds liegen hauptsächlich Sklavenquartiere und Vorräte, sodass die Wache nicht allzu scharf ist. Eine Handvoll Männer, dünn gesät. In der Nähe des Spalts in der Wehrmauer sollte ein Wächter postiert sein, aber heute Nacht nicht.«
    »Bemerkenswert. Und woher genau wisst Ihr das?«
    Der Königsfänger nickte zu dem Holzfass hinüber. »Weil er da drin liegt. Ich habe ihn persönlich dort hineingesteckt, vor sechs Stunden. Euer Pfad ist gelegt, Mann aus dem Norden. Jetzt ist es an Euch, ihn zu beschreiten.«
    Ringil erübrigte dem Fass einen angewiderten Blick, vor allem um Rakans willen. Er hätte viel für eine halbe Stunde allein mit dem Kommandanten vom Ewigen Thron gegeben, vorzugsweise in einem Zimmer ohne Leichnam und etwas besser eingerichtet als das hier, aber, na ja, im Notfall könnten zum Beispiel diese Getreidesäcke drüben in der Ecke …
    Er verzog den Mund. Schob das Bild beiseite.
    Schälte sich aus seinem Mantel, legte den Rabenfreund ab und streifte ihn wieder über, sodass Schwert und Scheide frei lagen. Ging zum nächsten Fenster und schob den Rahmen volle drei Fuß hoch. Er bewegte sich wie auf gut geölten Rädern und leise wie eine Windböe. Die Gerüche der Kochfeuer über der Stadt wehten herein und wetteiferten mit dem Schlachtgestank, der bereits im Raum hing. Ringil spähte hinaus.
    Das nächste Dach lag einen kurzen Sprung unter ihnen und direkt an der Mauer des Gebäudes, in dem sie standen. Die weite Dachlandschaft erstreckte sich in die Dunkelheit, Blöcke und Schrägen und schmale Spalten, die er schließlich überspringen müsste. Undeutlich dahinter ragte die Zitadelle auf ihrer Felswand empor wie ein riesiger, hingekauerter Geier.
    Er seufzte. »Dann los. Auf geht’s!«

     
    Leichtfüßig über das Wirrwarr der Dächer, jetzt bloß noch sie beide. Ringil folgte dem Königsfänger eng wie ein Schatten. Flachdach, Schrägdach, Dachgarten, Kluft – die Route schlängelte sich hin und her, jede Deckung nutzend. Schutz suchen hinter Kaminen und an plumpen Trennmauern, hingehockt innehalten, während undeutlich erkennbare Gestalten sich vor ihnen bewegten oder Stimmen auf anderen Dächern in dem rauchigen Dämmer kamen und gingen. Aufspringen und weiterrennen, sobald es wieder möglich war.
    Einmal hörten sie eine junge Frau leise und bewegend singen. Die Stimme drang aus einem Fenster unter den Dachtraufen, ein Wiegenlied oder Klagelied, Ringil konnte es nicht sagen. Und einmal hörten sie, zusammengekauert an einem abkühlenden Schornstein, das Bruchstück einer Kindergeschichte von der Feuerstelle unten herauftönen.
    … und als der hübsche junge Imperator das hörte, erkannte er sogleich, wie ein Blinder, der plötzlich wieder sehen konnte, dass sie die ganze Zeit über die Wahrheit gesprochen hatte, und er schämte sich für seine Wut. Ihre stille Beständigkeit schmolz die Kälte seines Herzens, und er ließ sich auf ein Knie nieder und streifte ihr den Schicksalsring an den Finger. Und ihr Vater, der Schmied, wurde sogleich aus seinen Fesseln befreit, in den Palast gebracht und für seinen getreuen Dienst mit einem hohen Orden geehrt, den ihm der Imperator persönlich vor allen Herren und Damen des Hofs verlieh. Und überall in dieser prächtigen Stadt herrschte Frohlocken über eine Gerechtigkeit, die einem gewöhnlichen Mann und seiner Tochter …
    Druck auf seinen Arm. Der Königsfänger nickte, und weg waren sie wieder. Übersprangen vier Fuß breite Spalten, über schmale Gassen und die Köpfe von Menschen hinweg, die niemals aufschauten. Balancierten über den Dachfirst eines verfallenen Lagerhauses, wo die Schindeln zu beiden Seiten entweder
herabgefallen waren, sodass bloß noch die nackten Balken aufragten, oder zu brüchig, um sich noch darüber zu wagen. Ein paar kleine Feuer glühten unten in dem zerstörten Raum, Gestalten in Mänteln scharten sich dicht darum; Gemurmel von Stimmen. Rauch stieg sich kräuselnd durch das Gebälk empor, blies Ringil ins Gesicht. Er würgte und unterdrückte