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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Versprechen ganz er-
    füllt hatte, wollte er den Weg nach Werst wieder einschla-
    gen, wo die beiden Männer noch vor der Mittagsstunde ein-
    treffen konnten.
    Was den Doktor angeht, so glich dieser zunächst jedoch
    nur einer leblosen Maschine ohne die Kraft, ja ohne den
    Willen zu irgendwelchem Widerstand. Er ging, wohin man
    ihn gerade stieß; fiel er zur Erde, so hätte er sich nicht wie-
    der zu erheben vermocht. Die Erscheinungen der vergange-
    nen Nacht hatten seine Hirntätigkeit offenbar völlig lahm-
    gelegt; so erhob er auch nicht den leisesten Widerspruch, als
    der Förster nach dem Schloß zeigte und sagte: »Nun vor-
    wärts!«
    Und doch war’s jetzt schon heller Tag und der Doktor
    hätte Werst sicher wieder erreichen ohne die Befürchtung
    können, sich in den Waldmassen des Plesa zu verirren. Daß
    er trotzdem bei Nic Deck ausharrte, war ihm aber nicht
    etwa als Verdienst anzurechnen. Wenn er seinen Gefährten
    nicht verließ, um in das Heimatdorf zu flüchten, dann lag
    das daran, daß ihm das Bewußtsein der Sachlage fehlte, daß
    er nur noch ein Leib ohne Seele war. Auch als ihn der Forst-
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    mann nach der äußeren Böschung des Wallgrabens zerrte,
    ließ er ihn ruhig gewähren.
    Nic Deck wollte jetzt zunächst ausspähen, ob es möglich
    war, in die Burg anders als durch das Ausfallstor zu gelan-
    gen, und von wo aus das am leichtesten ausführbar erschien.
    Die Zwischenmauer der Bastionen zeigte keine Bresche,
    keine eingestürzte Stelle, nicht einmal eine Spalte, die Zu-
    gang zu dem Raum hinter der Umfassung gewährt hätte. Es
    war wirklich überraschend, die alten Mauern so ausgezeich-
    net erhalten zu finden, was sie wohl nur ihrer außerordent-
    lichen Dicke zu verdanken hatten. Bis zu dem sie krönenden
    Zinnenrand hinaufzuklettern, erschien ganz unausführbar,
    da sie mindestens 40 Fuß über die Grabensohle emporrag-
    ten. Es gewann also den Anschein, als ob Nic Deck jetzt, wo
    er bis zum Karpatenschloß vorgedrungen war, auf ganz un-
    überwindbare Hindernisse stoßen sollte.
    Zum Glück – oder eigentlich recht zum Unglück für
    ihn – befand sich über dem Ausfallstor eine Art Schieß-
    luke, oder vielmehr ein Mauereinschnitt, durch den frü-
    her die Mündung einer Feldschlange herausgeblickt haben
    mochte. Benützte er nun eine der Zugbrückenketten, die bis
    zum Erdboden herabhingen, dann konnte es für einen kräf-
    tigen, geschmeidigen Mann nicht besonders schwierig sein,
    bis zu jenem Ausschnitt emporzuklimmen. Dessen Breite
    genügte offenbar, sich hindurch zu zwängen, und wenn er
    nicht an der Innenseite durch ein Eisengitter verschlossen
    war, mußte Nic Deck auf diesem Weg in den Burghof ge-
    langen können.
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    Der Förster durchschaute auf den ersten Blick, daß er gar
    nicht anders zu seinem Ziel gelangen konnte, und so stieg
    er denn, mit dem ganz bewußtlosen Doktor hinter sich, auf
    dem schiefem Fußpfad die äußere Böschung des Wallgra-
    bens hinunter.
    Bald hatten beide den mit Steinen, die unter wuchern-
    dem Unkraut lagen, bedeckte Sohle des Grabens erreicht.
    Allerdings wußten sie kaum, worauf ihre Füße standen und
    ob nicht unzähliges giftiges Getier aus dem Pflanzengewirr
    der feuchten Aushöhlung hervorbrechen würde.
    In der Mitte des Grabens und parallel mit der Verbin-
    dungsmauer verlief der alte Abzugskanal, der jedoch jetzt
    fast ausgetrocknet und somit ohne große Anstrengung zu
    überspringen war.
    Nic Deck, der nichts an geistiger und körperlicher Ener-
    gie eingebüßt hatte, ging gewohnt kaltblütig vor, während
    der Doktor ihm maschinenartig folgte, wie ein Tier, das
    man am Strick hinter sich nachzieht.
    Nachdem sie über den Abzugskanal gelangt waren,
    ging der Förster etwa 20 Schritte weit am Fuß der Verbin-
    dungsmauer entlang bis dicht unter das Ausfallstor, zu der
    Stelle, wo das Ende der gesehenen Kette herabhing. Unter
    Benutzung der Hände und der Füße mußte er hier leicht
    den Steinsims erreichen können, der unter dem Mauerein-
    schnitt ein Stück hervorsprang.
    Nic Deck hatte offenbar nicht die Absicht, auch Doktor
    Patak zu dieser Kletterübung aufzufordern; einem so schwe-
    ren Männchen wäre das unmöglich gewesen. Er begnügte

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    sich also damit, ihn kräftig zu schütteln, um sich ihm deut-
    lich verständlich zu machen, und empfahl ihm, sich hier un-
    ten im Graben mäuschenstill zu verhalten.
    Dann begann Nic Deck – für seine Gebirgsbewohner-
    muskeln nur ein

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