Das Karrieremacherbuch
festgelegt und vom Faktor Alter mehr und mehr entkoppelt werden. So erzielten und erzielen zahlreiche Konzernmitarbeiter über die Jahre ihrer Betriebszugehörigkeit oft marktunübliche Gehälter. Eine Begleiterscheinung der aussterbenden Kaminkarriere, die zu herben Gehaltskorrekturen führte, wenn wieder einmal eine Konjunkturdelle den Markt bereinigte.
In den Dokumentationen der Unternehmensberatungen, für die ich früher tätig war, gab es meist den Punkt »altes Gehalt« und »neues Gehalt«. Berater, die ihren Kunden zu einem um 10 bis 20 Prozent besseren neuen Gehalt verhalfen, waren gut angesehen. Außerdem konnte man mit der Behauptung: »Nach dem Outplacement verbesserten sich die Gehälter unserer Klienten durchschnittlich um 25 Prozent« mindestens genauso gut werben wie mit Vermittlungsquoten von 80 bis 90 Prozent. Zu denen zählten natürlich auch jene, die sich selbstständig machten, auf Weltreise gingen und jene, die im Anschluss an die jäh beendete Konzernkarriere auf der Psychologencouch landeten. Kein Scherz, so etwas kam öfter vor.
Warum ziehen wir uns nach Karrieremustern an, die andere gestrickt haben?
Die alten Karrieregesetze formten ein insgesamt schlechtes Selbstbild des Gekündigten. Eine Kündigung war etwas, für das sich der Gekündigte bitter schämte. Manche Männer trauten sich nicht, zu Hause zu erzählen, dass sie ihren Job verloren hatten. Ausschließlich Männer, so etwas betraf Frauen nie. Manche gingen weiter morgens aus dem Haus und kamen abends zurück und taten, als ob sie arbeiteten. Das hört sich an wie ein Retrothema aus dem Mittwochsspielfilm im ZDF, doch manchmal sind die recht nah an der Realität. Im besten Fall fingen die Gekündigten an, Romane zu schreiben und Franchisekonzepte zu wälzen, im schlechtesten zogen sie sich dauerhaft vor den Fernseher zurück.
Hände in den Schoß und die Ungerechtigkeiten der Welt beklagen, aber bitte nicht aktiv werden – jedenfalls nicht am Arbeitsmarkt und bloß nicht mit einer Veränderung. Ich war schon vorher wer! Da mache ich doch nachher keine »kleineren« Jobs für weniger Geld! Kaminkarriere und Realität passten spätestens seit der New-Economy-Krise einfach nicht mehr zusammen. Doch Menschen verändern sich langsamer als ihre Arbeitsbedingungen.
Man hält an Altem fest und kann sich mit dem Neuen – etwa einem Job mit weniger Gehalt – schwer anfreunden. Die sprunghaft steigenden Zahlen von Depressionen seit der Zweitausendwende, nachzulesen etwa im Gesundheitsreport der DAK, sind sicher ein Indiz dafür. 35
Sehr viel verändert hat sich heute, wo die zweite Kündigungswelle des Jahrtausends über uns wegrollt, leider auch nicht. Neulich fragte ein Teilnehmer meines Forums, wie er bei Vorstellungsgesprächen verbergen könne, dass ihm wegen der Wirtschaftskrise gekündigt worden sei. Schon den Gedanken, dass da etwas verborgen werden müsse, finde ich befremdlich. Legt das alte Karrieregesetzbuch weg! So ist das nicht mehr! Und das ist glücklicherweise auch bei einigen Personalern und Entscheidern angekommen. Jobwechsel werden in den letzten Jahren und erst recht in der letzten Zeit weit weniger hinterfragt als früher. Die Überzeugung, dass eine Kündigung immer mit schlechter Arbeitsleistung zu tun habe, ist deutlich seltener anzutreffen. Ein Umdenken ist da spürbar – alte Regeln verlieren Gültigkeit. Zugegebenermaßen langsam.
Für Ihre Vätergeneration – hier kann man wirklich einmal sagen: weit weniger für Ihre im Durchschnitt weniger auf die Versorgerrolle programmierten Mütter – brach bei einer Kündigung eine Welt zusammen. Jeder kennt mindestens eine Person im Bekanntenkreis, die ganz weit unten landete, vielleicht bei Hartz IV. Das ging weder an Ihren Eltern noch an Ihnen spurlos vorbei.
PISA und die Bildungsdiskussion gesellten sich dazu, und auch die fortschreitende Globalisierung entspannte die Situation nicht gerade. Man muss sich unbedingt vor Entlassungen schützen! Man muss alles tun, um zu vermeiden, überflüssiger Headcount zu werden! Aus dem tiefen Karrieretrauma wuchs, gefüttert von den Medien, der Glaube, dass nur die Besten und Leistungsstärksten am Arbeitsmarkt überleben.
Ihre Eltern haben immer Angst – zu Unrecht
Erinnern Sie sich an den Informatiker, der Polizist wurde? Die verhinderte Soziologin? Eltern und die Umgebung spielen eine entscheidende Rolle bei der Studien- und Berufswahl. Doch sie nehmen diese Rolle allzu oft als überbesorgte
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