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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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dem Mäppchen einen kleinen Beutel aus rotem Filz mit Kordelverschluss zutage und gab ihn mir. » Das gehörte meiner Mutter, und ich möchte es dir schenken. «
    Mit zitternden Händen zog ich das Beutelchen auf, und ein Platinring mit kleinen Perlen und Saphiren fiel in meine Hand. Stefan, Kirchenglocken und jetzt auch noch ein Ring, dachte ich. Ein perfektes Weihnachtsfest.
    Er nahm ihn und steckte ihn mir an den Ringfinger. Dann blickte er, übers ganze Gesicht strahlend, auf. » Lass uns heiraten. Bald « , sagte er.
    In dieser Nacht haben wir kaum geschlafen. Wir schoben die allgegenwärtige Verzweiflung und Furcht wegen des bevorstehenden Abschieds einfach von uns weg. Verdrängten alles Störende und Belastende und liebten uns bis zur Erschöpfung. Und dennoch erreichte unser Liebesspiel in dieser Nacht eine ganz neue Intensität, die uns schließlich auf eine unbekannte Ebene hob.
    Danach lag ich stundenlang wach, während mein ganzer Körper noch glühte von seinen Berührungen.
    Den Morgen meiner Hochzeit – am Valentinstag 1944 – verbrachte ich mit dem Kopf über der Kloschüssel. Gwen kam mit einer Tasse Tee und stellte sie auf den Waschbeckenrand.
    » Ich fühle mich schrecklich « , stöhnte ich. » Dabei habe ich doch gar nichts anderes gegessen als die anderen. Glaubst du, das sind bloß die Nerven? «
    » Jede Frau ist an ihrem Hochzeitstag nervös « , räumte sie ein, um geheimnisvoll hinzuzufügen: » Könnte es auch an etwas anderem liegen? «
    Erst kapierte ich nicht. Doch dann, als ich wieder über der Schüssel hing, dämmerte es mir. » Ich habe nicht aufgepasst und nachgerechnet « , sagte ich und wischte mir den Mund. » Aber es dürfte schon eine ganze Weile her sein seit der letzten Periode. Ist das möglich? Ich dachte, ich hätte aufgepasst. «
    » Wie gut, dass du heute heiratest « , sagte Gwen und lachte spöttisch. » Sonst hättest du ganz schön was zu erklären. «
    Zum Glück ließ die Übelkeit im Laufe des Vormittags nach, sodass die Hochzeit wie geplant vonstattengehen konnte. Es war eine schlichte Zeremonie im Standesamt von Westbury, bei der außer uns nur Mutter, Gwen und Vera anwesend waren. An diesem Tag vermisste ich Vater sehr und wünschte, er könnte uns hier sehen und uns seinen Segen erteilen. Bestimmt wäre er jetzt stolz auf Stefan wegen seiner Entscheidung, für die Alliierten zu kämpfen. Auch meinen Bruder John hätte ich gerne dabeigehabt.
    Mutter hatte viele Tage an der Nähmaschine zugebracht, um uns hübsch auszustatten: ein knielanges Kleid mit Jacke aus cremefarbener Schantungseide für mich und hellgrüne Seidenblusen für Vera und Gwen, die als meine Brautjungfern fungierten. Weil ihr am Ende die Zeit für sich selbst fehlte, erschien sie in einem eleganten Kostüm aus der Vorkriegszeit.
    Stefan trug seine Ausgehuniform, in der er sensationell gut aussah. Und doch wirkte er an unserem Hochzeitstag irgendwie distanzierter als sonst. Zunächst dachte ich, dass es nur an der Uniform lag und ich mir alles andere nur einbildete, doch selbst beim Sektempfang in einem nahen Hotel wurde er nicht lockerer. Egal, beschloss ich, ich würde einfach warten, bis wir in unserem Zimmer waren, dann würde ich ihn schon zum Lächeln bringen. Wie das ging, wusste ich ja.
    Wir hatten bloß eine einzige gemeinsame Nacht. Die Hochzeitssuite in dem fast leeren Hotel wurde von einem imposanten Himmelbett beherrscht. Aus dem Fenster schaute man auf eine idyllische, von Fachwerkhäusern gesäumte Dorfstraße, die sich zu einer von Moschusenten bevölkerten Furt hinabschlängelte. Im Hintergrund erhob sich eine fast wehrhaft aussehende Kirche. Im Erker der Suite standen zwei Sessel. Stefan setzte sich und zündete sich eine Zigarette an, war offenbar blind für die malerische Aussicht.
    » Komm und gib Mrs. Holmes einen Kuss « , sagte ich, warf mich aufs Bett und strich über die weiche weiße, spitzenbesetzte Bettwäsche. » Ich muss dir etwas erzählen. «
    Er drehte sich um, ohne dass er mich wahrzunehmen schien. Völlig reglos saß er da, in sich versunken.
    » Stefan? «
    » Bitte Lily, sag Stephen « , fuhr er mich an. » Begreif endlich, wie wichtig das ist. « Er stand auf, ging unruhig im Zimmer umher.
    » Tut mir leid « , sagte ich zärtlich. » Es fällt mir schwer, in dir jemand anderen zu sehen als den Stefan, den ich so sehr liebe. Ich dachte, es wäre okay, wenn wir unter uns sind. «
    Er schüttelte mit steinerner Miene den Kopf. » Nicht einmal dann « ,

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