Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
denn keiner der christlichen Könige es fertiggebracht, die eingefallenen Bogen wieder aufzubauen?«
Ramón hob die Schultern. »Offensichtlich nicht.«
Isabel wird das Aquädukt wieder aufbauen lassen, kam es ihr unvermittelt in den Sinn, doch dieses Mal war sie so umsichtig, die Worte nicht auszusprechen.
Nachdem sich die Ankömmlinge aus Arévalo von ihrem Ritt erholt, sich erfrischt und angemessen eingekleidet hatten, kam ein Bediensteter des Hofs, um sie abzuholen und zum König zu führen. Der wünschte seine Halbschwester und ihren Bruder zu begrüßen und wollte sie und ihre Begleiter bei Hof willkommen heißen. Es erstaunte Jimena ein wenig, dass die Aufforderung ausdrücklich auch Isabels jungen Damen und Alfonsos Pagen galt. Wie freundlich vom König, sie selbst zu begrüßen! Gespannt folgte sie mit Beatriz und Teresa an ihrer Seite Isabel, die ihnen mit nahezu königlicher Haltung voranschritt und die Unsicherheit und Ängste, die vermutlich nur Jimena oder ihre Tante spüren konnten, hinter einer Miene freundlichen Interesses verbarg.
»Ich bin ja so gespannt, wie er aussieht«, wisperte Beatriz. Jimena nickte zustimmend. Sie stellte ihn sich ein wenig wie Carrillo vor, würdig, machtvoll und auch etwas skrupellos. Vom Aussehen vielleicht eher wie der Marquis. Einfach nur prachtvoll in den knielangen Gewändern, die kraftvollen Beine von schimmernden Seidenstrümpfen umhüllt. Die Schuhe vielleicht mit Edelsteinen besetzt. Ja, so würde er auf seinem Thron sitzen und ihnen huldvoll zulächeln, wenn sie sich vor ihm verbeugten.
Die Realität unterschied sich so sehr von ihrer Vorstellung, dass Jimena nur mit Mühe einen Ausruf der Verblüffung unterdrücken konnte, als sie den Thronsaal betraten.
Als Erstes fiel ihr Blick auf den leeren Thronsessel, und für einen Moment dachte sie, der König sei noch nicht anwesend. Sie bemerkte den Mann, der lässig im Schneidersitz auf dem Diwan saß, wohl, doch sie beachtete ihn nicht weiter. Neben den anderen anwesenden Damen und Herren des Hofs wirkte er seltsam fehl am Platz, so ungepflegt und nachlässig er in lange, maurisch anmutende Gewänder gekleidet war. Doch als sie hinter dem Erzbischof und dem Marquis eintraten, sprang er auf und kam ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen.
»Ah, Exzellenz, Ihr seid zurück, und auch Ihr, Marquis, mein guter Freund«, rief er und strahlte über sein von einem ungepflegten rötlichen Bart bedecktes Gesicht. Auch sein Haupthaar war von rötlicher Farbe und viel zu lang. Erzbischof Carrillo lächelte ein wenig steif und streckte ihm die Hand entgegen, damit er den Bischofsring küssen konnte.
» Majestad«, erwiderte er zu Jimenas Überraschung mit einer Verbeugung, die jedoch nicht besonders tief ausfiel. »Hier bringen wir Euch, wie versprochen, Eure liebe Schwester und Euren Bruder und ihr Gefolge.«
Dieser ungepflegte Mann mit den wenig einnehmenden Gesichtszügen, der krummen Nase und den zu lang geratenen Armen war also König Enrique IV., der mit neunundzwanzig Jahren dem Vater der drei Geschwister, Juan II., auf den Thron gefolgt war. Er war vermutlich ein paar Jahre älter als seine Stiefmutter Isabel von Portugal, die in ihrem düsteren Palast in Arévalo saß, und somit um fünfundzwanzig Jahre älter als seine Halbschwester Isabel, die er nun herzlich begrüßte und in seine Arme schloss. Dann drückte er Alfonso an seine Brust, der das im Gegensatz zu Isabel gar nicht begrüßte. Jimena musste ein Kichern unterdrücken, als sie seine Miene des Abscheus auffing, mit der er die Küsse seines Bruders quittierte.
»Wie schön, dass ihr endlich da seid!«, rief der König fröhlich. »Bleibt ab nun an meinem Hof und fühlt euch frei, mir alles zu sagen, was ihr zu eurem Glück begehrt!«
Dann wandte er sich zu Jimenas Überraschung an das Gefolge seiner Geschwister. Er begrüßte jeden Einzelnen von ihnen und ließ sich ihre Namen nennen. Er erkundigte sich nach dem einen oder anderen Familienmitglied, das er kannte, und machte ganz den Eindruck, als sei ihm jeder Einzelne wichtig genug, dass er sich bemühte, sich seinen Namen und sein Gesicht zu merken.
»Doña Jimena, welch Freude, in Zukunft eine so schöne junge Dame an meinem Hof zu wissen«, sagte der König freundlich, als er ihre Hand berührte. Verlegen schlug Jimena die Augen nieder. Ein Kompliment war nicht zu verachten, doch sie wusste auch schon, dass es als Mädchen selten von Vorteil war, zu sehr die Aufmerksamkeit eines hohen Herrn zu
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