Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
begleite Sie.«
Er führte sie in Justus’ Krankenzimmer, in dem sich in den vergangenen Tagen nicht viel verändert hatte. Nun allerdings fehlte der Schlauch in seinem Mund, und die Beatmungsmaschine war abgeschaltet. Er atmete selber. In seinem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck, der Isaura die Tränen in die Augen trieb. Marco schob ihr einen Stuhl heran, und sie ließ sich auf das Polster sinken. Vorsichtig nahm sie Justus’ Hand.
»Wann wird er aufwachen?«
Dr. Jiménez hob die Schultern. »So genau können wir das nicht sagen. Atmung, Blutdruck und Puls sind gut. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern. Doch bitte erschrecken Sie nicht, wenn er sich zuerst an nichts mehr erinnern kann. Er könnte unzusammenhängende Dinge sagen, aber das bedeutet in dieser Phase noch gar nichts. Die ersten CT -Untersuchungen waren zufriedenstellend, doch ob sein Gehirn wirklich keine bleibenden Schäden davongetragen hat, können wir erst nach unseren Tests im Laufe der nächsten Tage feststellen.«
Isaura versuchte sich an einer neutralen Miene und nickte, doch so leicht ließ sich der Arzt nicht täuschen. Noch einmal berührte er sie am Arm.
»Das ist nicht leicht! Für niemanden. Und es ist auch kein Anzeichen von Schwäche, in diesen Minuten, die einem so ewig erscheinen können, Angst zu empfinden. Versuchen Sie es auf sich zukommen zu lassen, und treffen Sie keine überstürzten Entscheidungen. Ich weiß, noch ist er Ihr Mann, und Sie fühlen sich verantwortlich. Doch bitte, denken Sie daran: Verantwortung, um zu handeln, ist in Ordnung, Schuldgefühle sind es nicht! Das erzeugt Bitterkeit, und es zerstört am Ende ihn und Sie selbst.«
Er zog seine Hand weg, doch die Berührung brannte noch auf ihrer Haut, selbst nachdem er das Krankenzimmer verlassen hatte.
Verantwortung ja, Schuld nein? Das war leicht gesagt. Wie sollte sie diese Schuld von sich weisen? Sie hatte den Unfall verursacht! Sie war an Justus’ Zustand schuld! Und wenn er bleibende Schäden davontrug, dann würde sie die Last dieser Schuld ihr ganzes Leben tragen müssen.
Das ist genau das, wovon der Doktor gesprochen hat!, ereiferte sich wieder die Stimme der alten Frau in ihrem Kopf. Eine Schuld, die du dein Leben lang abtragen musst? So ein Blödsinn! Du hast ihm schließlich nicht vorsätzlich ein Nudelholz über den Schädel geschlagen, obwohl er das in meinen Augen durchaus verdient hätte! Himmel, denk an diese Sandy und daran, was er dir angetan hat. Erinnere dich an deinen Schmerz! Ja, und an deinen Zorn, der auch etwas Gutes ist, denn er schützt dich.
Da lag das Ergebnis ihres Zorns. Sie konnte überhaupt nichts Gutes daran finden, und noch weniger gelang es ihr, das alles zu erklären. Aber vielleicht wollte sie das auch gar nicht. Ein Rätsel führte zum nächsten, bis ihr Geist sich weigerte, sich weiter damit zu befassen.
Auch dieses Mal hatte sie Glück und konnte sich ablenken. Die Hand in der ihren begann zu zucken. Isaura beugte sich vor.
»Justus? Kannst du mich hören?«
Der Druck verstärkte sich. Zumindest bildete sie sich das ein. »Wenn du mich hören kannst, dann öffne jetzt die Augen.«
Es war eine solche Kraft in ihren Worten, dass sie selbst die Umklammerung spürte, die sich um den Geist zu legen schien, um ihn zu zwingen, ihrem Befehl Folge zu leisten. Und doch war Isaura überrascht, dass sich seine Lider unvermittelt hoben und er sie ansah.
»Justus! Kannst du mich verstehen?«
Ein zaghaftes Kopfnicken. Er öffnete den Mund, doch nur ein heiseres Krächzen kam heraus. Sie nahm die Schnabeltasse vom Nachttisch und flößte ihm ein wenig lauwarmen Tee ein, ehe sie ihre Frage wiederholte.
Er sah sie mit klarem Blick an und schien sie auch zu erkennen.
»Isaura! Was zum Teufel ist hier los? Wo bin ich, und was ist passiert?«
Nein, dieses Gehirn schien keine bleibenden Schäden abbekommen zu haben, selbst wenn er sich an den Unfall selbst nicht erinnern konnte. Vor Erleichterung rannen ihr Tränen über die Wangen.
»Justus, ich habe … nein, wir hatten einen Unfall, mit dem Auto. Erinnerst du dich an die Fahrt? Du bist nach Madrid geflogen, um mich zu besuchen, und wir waren gerade auf dem Weg zu unserem Hotel, als es passierte.«
Sie fixierte ihn mit angehaltenem Atem. Was war sein Geist bereit preiszugeben?
Justus runzelte die Stirn und schielte an sich herab. »Ein schwerer Unfall«, murmelte er. Isaura nickte.
»Ja, der Wagen ist von der Straße abgekommen und hat sich überschlagen. Du warst
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