Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
gegessen haben! Das ist eine medizinische Anweisung.«
»Jawohl, Herr Doktor«, kapitulierte Isaura.
In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Darf ich Sie später noch einmal anrufen?«
Isaura nickte stumm.
Isaura saß auf der Bank vor ihrem Häuschen in der Abendsonne. Sie sah auf die Uhr. Jetzt war Justus vermutlich schon in der Luft und auf dem Weg nach Hause in eine Klinik, die Sandy für ihn ausgesucht hatte, um in den Händen der besten Ärzte zu genesen. Nun, sie wünschte ihm Glück.
Tat sie das?
Sie konnte nicht behaupten, dass sie Sandy Glück wünschte, aber Justus? Nachdem sie sich so viele Jahre geliebt hatten?
Und dennoch brodelte noch immer der Zorn in ihr. Die Verletzung schmerzte. Nein – besser, sie dachte nicht weiter an ihn. Es war jetzt nicht mehr ihre Sache. Sie war noch einmal in sein Zimmer zurückgekehrt, hatte sich von ihm verabschiedet und ihm gute Genesung gewünscht. Und Sandy war so liebenswürdig gewesen, sie darauf hinzuweisen, dass sie von seinem Scheidungsanwalt hören würde. Justus hatte nichts dazu gesagt und nur gequält die Augen verdreht, doch widersprochen hatte er nicht, also würde es wohl so kommen.
Würde sie sich wehren? Ihm die Scheidung so richtig schwer machen?
Wozu? Ihr altes Leben und ihre Liebe konnte sie nicht zurückholen. Sie sollte lieber zusehen, dass sie diesen Albtraum rasch hinter sich ließ und sich wieder auf ihr eigenes Leben konzentrieren konnte. Ein Leben ohne Justus.
Isaura schüttelte sich, als könne sie so die Erinnerungen vertreiben. Sie richtete ihren Blick auf die Umgebung und nahm bewusst wahr, wie sich das Land unter dem Atem der Frühlingsluft veränderte. Ein grüner Hauch überzog das Flussufer, und die Frühlingsblumen wetteiferten in ihrer Farbenpracht. Schwalben schossen durch die milde Luft auf der Jagd nach Insekten. Isaura hatte rund um die Scheune zahlreiche alte Nester entdeckt. Sicher würden sich die Paare dort bald zum Brüten niederlassen. Wie schön wäre es, die nächste Generation kleiner Schwalben aufwachsen zu sehen. Wie lange würde es dauern, bis sie das Nest verlassen konnten? Bis Juni vielleicht?
Isaura erwischte sich bei dem sehnsuchtsvollen Gedanken, auch im Juni ihre Abende noch auf der Bank vor ihrem Haus verbringen zu können.
Nein, so ein Unsinn. Sie würde sich zu Tode langweilen. Und im Juni wäre es hier bestimmt unerträglich heiß und staubig. Kein Ort, an dem man sich aufhalten wollte.
Ja, Kastilien war schon immer eine Herausforderung. Im Winter eisig mit Sturm und Schnee und im Sommer flirrende Hitze über der trockenen Ebene, aber ich wollte nie von hier fort. Es war mein Land, in dem meine Mutter und meine Großmutter gelebt haben und so viele große Frauen vor ihnen.
Isaura zuckte kaum noch zusammen. Sie begann sich an die Stimme der alten Frau zu gewöhnen, die in Haus, Scheune und den Gärten noch so präsent zu sein schien, dass sie immer wieder ihren Schatten am Rande ihres Blickfelds zu sehen glaubte.
Isaura schaute auf das Handy in ihrer Hand. Sie hätte in der Redaktion anrufen können. Hätte sagen können, die Geschichte Kastiliens sei so vielschichtig und reichlich, dass es sich lohne, tiefer zu graben. Ja, sie würde eine wundervolle Serie schreiben, doch dafür müsse sie noch eine Weile blei ben. – Zumindest bis die jungen Schwalben flügge seien. Nein, das Letzte würde sie natürlich nicht sagen. Aber die Idee an sich gefiel ihr.
Sie brauchte eine Auszeit – nach alldem, was mit Justus und ihr geschehen war –, und was eignete sich dafür besser, als sich hier in ihrem Haus in die Geschichte dieses Landes zu vergraben, das ihr keine Ruhe mehr ließ?
Sie wollte gerade die Nummer der Redaktion wählen, als der Wind ein Geräusch zu ihr wehte, das an diesem Ort nur selten erklang.
Motorenlärm. Ein Auto näherte sich über den Feldweg. Für einen Moment fürchtete sie, es sei der Comisario, dann hoffte sie, Señor Campillo würde sie besuchen. Ja, der alte Anwalt würde ganz prächtig auf ihre Bank vor dem Haus passen, und nachher könnten sie bei Sonnenuntergang ein Glas Wein zusammen trinken.
Doch es waren weder der Kommissar noch der Anwalt. Es war Dr. Jiménez, der aus einem unscheinbaren Kombi stieg und auf sie zukam.
Isaura rührte sich nicht von der Stelle. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Was um alles in der Welt trieb den Arzt aus Valladolid bis hier hinaus in ihre Einsamkeit?
Na, was glaubst du wohl, mein Kind?
Sie ignorierte die Worte in ihrem
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