Das Kind, Das Nicht Fragte
zu denken, und schon entsteht in meinem Kopf eine erste Gliederung. Wie zielsicher Adriana Bonni das gewittert hat! Allein diese Witterung ist bereits eine Meisterleistung!
Ich sage einen langen Moment nichts, diese Wendung der Dinge macht mich sprachlos. Sprachlos und unsicher, denn durch die Entwicklung des Themas Ethnologie platziert sich Adriana Bonni direkt an meiner Seite. (Sie rückt näher, sie referiert bereits die ersten Thesen ihrer Forschung, und sie nennt das Thema für ihre Dissertation. Ab jetzt werde ich sie für einige Zeit an meiner Seite haben. Ich werde sie betreuen, ich werde ihre Dissertation mit ihr entwerfen, mit der Zeit wird aus uns beiden vielleicht ein wissenschaftliches Team werden, wobei – ebenfalls mit der Zeit – schließlich die Jüngere den zwanzig Jahre Älteren mitziehen und zu Höchstleistungen anstacheln wird. Arbeitsteams solcher Art, das belegen viele Beispiele von Biografien ethnologischer Forscherinnen und Forscher, münden beinahe immer auch in die Ehe oder ein festes Zusammenleben. Ethnologischer Sex? Ja, das soll es geben, ich mag es mir aber nicht vorstellen.)
Während dieser hastigen, konfusen Nebengedanken suche ich nach einem sofortigen Ausstieg aus diesem Themenfeld. ( Ich will das alles nicht, denke ich mehrmals, ich will dieser Sache entkommen, ich will nicht ein paar Jahre oder noch mehr mit Adriana Bonni auf Teufel komm raus forschen. ) – Schade, dass wir hier nichts zu trinken haben, sage ich.
– Ja, sehr schade, antwortet sie, aber ich bitte Sie zu verstehen, dass ich mich draußen, im Ort, mit Ihnen nicht zeigen kann. Das geht einfach nicht. Sollten Sie aber auf meinen Vorschlag eingehen, können wir uns im Ort so oft treffen und sprechen, wie es nötig ist.
– Welchen Vorschlag meinen Sie?
– Ich möchte Sie bitten, in den nächsten Wochen bei Ihnen ein ethnologisches Praktikum machen zu dürfen. Dadurch erhalte ich eine genauere Vorstellung von diesem Fach und weiß dann rechtzeitig zu meinem Studienbeginn im Herbst, ob ich es wirklich studieren möchte.
( Na bitte! Ich habe es geahnt! Sie will mich begleiten, sie will von mir lernen und nochmals lernen. Geht so etwas? Könnte sich daraus etwas Fatales ergeben? Ich habe mich in diese junge Frau nicht »verguckt«, nein, wirklich nicht, ich bin in eine ältere Frau sehr heftig verliebt. Das sollte mich gegenüber der jüngeren immunisieren. Aber ich kenne mich mit diesen Dingen nicht aus. Ich weiß, dass es in der Literatur viele Fälle von Dreiecksgeschichten gibt, die am Anfang gar keine Dreiecksgeschichten waren, dann aber zu welchen wurden und immer schlimm ausgingen, mit Selbstmord oder anderen lächerlichen Pathos-Attacken .)
Ich antworte wieder nicht sofort, sondern denke kurz nach. Einerseits reizt es mich sehr, zu verfolgen, wie eine junge, intelligente Frau wie Adriana Bonni in das Fach Ethnologie einsteigt und Fortschritte macht, andererseits ist dieses Projekt nicht ungefährlich. Ich weiß einfach nicht, wohin es führt, ich meine jetzt nicht im Privaten, Liebestechnischen, sondern hier in Mandlica. Was werden die Leute, die mich schätzen gelernt haben, dazu sagen? Keine Ahnung, nein, diesmal habe ich wirklich keine Ahnung. Und weil ich nicht weiter weiß, werde ich vor einer Entscheidung mit ein paar Leuten
sprechen. Mit Alberto, mit Adrianas Vater und natürlich mit Paula.
– Haben Sie über Ihren Vorschlag bereits mit Ihrem Vater gesprochen? frage ich.
– Nein, antwortet sie.
– Was vermuten Sie, wie wird er reagieren?
– Es wäre ihm lieber, wenn ich ohne Umwege Architektur studieren würde, aber er wird keine Einwände erheben.
– Und wieso nicht?
– Erstens erhebt er meist keine Einwände gegen Dinge, die ich mache, auch wenn diese Dinge manchmal etwas verquer sind. Und zweitens hat er eine so hohe Meinung von Ihnen, dass er es für eine besondere Ehre halten würde, wenn ich bei Ihnen ein Praktikum machen dürfte.
– Und Ihre Mutter?
– Meine Mutter wäre von einer großen ethnologischen Studie über die kleinen Provinzopernhäuser Italiens begeistert.
– Hat sie das bereits gesagt?
– Nein, ich habe mit ihr auch noch nicht darüber gesprochen. Aber ich weiß genau, wie sie reagieren würde.
– Sie sind ein Einzelkind?
– Das wissen Sie also.
– Ja, das weiß ich. Und nun sage ich Ihnen, ganz direkt, wie Sie es sich nach meiner Ansicht wohl auch wünschen: Sie machen auf mich einen sehr starken Eindruck. Sie sind eine kluge, konzentrierte und
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