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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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sprechen. ( Griechisch lernen! denke ich, unbedingt Griechisch lernen! Und die alten Lektüren im Original lesen, eine Seite pro Tag, und das Ganze mit Paulas Hilfe übersetzen und in ein glanzvolles Deutsch bringen! )

    Paula, richtig, Paula! Ich kann sie nicht mehr erkennen, sie ist im schwächer werdenden Sonnenlicht verblasst, oder sie wurde von einem Schiff mitgenommen, oder sie ist in eine warme Strömung geraten, die sie bis zur nächsten Küste, nach Afrika, getragen hat. Ich aber traue mich nicht mehr, noch weiter hinaus zu schwimmen, ich habe im Schwimmen nicht die Übung dafür und außerdem keine gute Kondition, deshalb mache ich halt, lasse mich etwas treiben und schwimme dann sehr langsam und mit geschlossenen Augen auf dem Rücken zurück, bis ich ihre näher kommenden Schwimmbewegungen höre und plötzlich einen Kuss im Nacken spüre und dann einen zweiten und dritten und bemerke, dass sie sich an mir festhält und mich umklammert und ich mich umdrehe, und wir beide uns küssen und dann so, aneinandergeklammert, eine lange Zeit im Meer treiben, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

    Später sitzen wir wieder zusammen auf der Terrasse zum Meer, wir trinken Limettensaft mit Prosecco, und ich frage Paula, wann wir hinauf nach Mandlica zurückfahren müssen.
    – Wir müssen gar nichts, antwortet sie. Wenn Du willst, können wir hier übernachten.
    – Aber musst Du nicht am Abend in der Pension sein?
    – Nein. Maria ist vor ein paar Stunden zurückgekommen, sie übernimmt heute Abend die Arbeit.
    – Und das heißt, wir können jetzt bleiben, die ganze Nacht?
    – Ja, das heißt es, und ich sehe, mein Beniamino, dass Du Dich darüber freust.

    Wir sitzen dann weiter zusammen draußen im Freien und beobachten, wie es langsam dunkelt und das Meer etwas Schmaleres, Enges bekommt, die dunklen Felsen zu beiden Seiten der Bucht stürzen über es her, und in der Ferne glimmen und tanzen schließlich nur noch ein paar Lichter. Paula geht dann nach drinnen, ins Haus, und bringt einige Kerzen und Leuchten, und ich will mich überhaupt nicht mehr bewegen, sondern das Meer im Blick behalten, wie es sich von uns trennt und davonschwimmt. Wir trinken roten, schweren Wein aus Marsala, und wir essen ein paar kleine Gerichte aus Paulas Küche, die sich noch im Eisschrank befinden, Pasten aus grünen Oliven, Sesam und Mandeln, ein Joghurt mit geriebenen Gurken, Knoblauch und Peperoncini, eine Auberginencreme mit Zitrone und etwas Fischsalat mit viel klein geschnittenem Gemüse.

    Tief in der Nacht kommen wir erneut auf ihr Restaurant zu sprechen:
    – Und wie würdest Du Dein Restaurant finanzieren? frage ich.
    – Ganz einfach, ich habe gespart, antwortet sie. Das Sparen fiel nicht einmal schwer, denn ich habe ja kaum etwas ausgegeben. Freie Unterkunft, keine Unkosten für Verpflegung, viel Geld habe ich für das tägliche Leben nie gebraucht. Stattdessen hatte ich Einkünfte durch die Pension, und das gar nicht so wenig. Und außerdem habe ich aus dem Sizilianischen ins Deutsche übersetzt, eine lange Flotte von Erzählungen und Romanen, ach ja, mein Gott, darüber haben wir, glaube ich, überhaupt noch nicht gesprochen! Oder irre ich mich?
    – Wie man’s nimmt. Direkt haben wir nicht darüber gesprochen,
aber ich habe es geahnt. Gestern Nacht hast Du im Traum manchmal Sizilianisch und Deutsch durcheinandergesprochen, und da dachte ich, dass Du vom Sizilianischen ins Deutsche übersetzt.
    – Und wieso hattest Du vorher bereits eine Ahnung?
    – Du hast manchmal eine Bemerkung gemacht, wie sie nur jemand macht, der Literatur nicht nur liest, sondern auch schreibt. Erinnerst Du Dich, wie Du den ersten Satz meines Mandlica-Buches sofort und ohne nachzudenken in die richtige Fassung gebracht hast?
    – Ja, genau, aber das war doch keine besondere Kunst.
    – Nein, keine Kunst, aber diese einfachen Korrekturen ließen darauf schließen, dass Du mit Literatur mehr zu tun hast als Leser, die alles so nehmen, wie es nun einmal dasteht. Aber nun gut – Dein Traum von einem Restaurant ist also finanziert.
    – Ja, ist er. Das Einzige, was mir noch fehlt, ist der passende Raum, aber den werde ich auch noch finden. Verstehst Du eigentlich etwas vom Kochen, kennst Du Dich damit aus?
    – Nein, ach was, aber ich lerne sehr schnell, und wenn ich erst mal drin bin in einer Materie, fällt mir auch bald etwas dazu ein. Ich meine Neues, Anderes, Verrücktes, etwas, an das zuvor, obwohl es auf der Hand liegt, kein Mensch gedacht

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