Das Kind, Das Nicht Fragte
Schwiegereltern und Lucios Geschwister mit ihren Familien und lauter Verwandte, die im Restaurant essen und keinen Finger krümmen.
Als dann noch die gegenseitige Magie nachließ und wir beide sprachlos in der Küche standen und Salat putzten oder ein blödes und umständliches Tiramisu herstellten (ich konnte den Tingeltangel-Namen »Ti-ra-mi-su« schon bald nicht mehr hören), tauchte plötzlich meine Schwester im Restaurant auf. Lucio hatte sie eingeladen, uns bei der Arbeit zu helfen, und meine Schwester war sofort dabei. Und wie hilfsbereit sie damals noch war! Der schöne, liebenswürdige und manchmal sogar etwas schüchterne Lucio mit all seinen Pullovern, die ihm etwas Zartes, Ephebenhaftes verliehen – sie war richtig vernarrt in seine Auftritte, und sie konnte sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als in seinem Restaurant ihren kleinen Stewardessen-Rollwagen von Tisch zu Tisch zu schieben. Kochen wollte sie nicht, das sollten andere erledigen, aber Rollwagen schieben und den Gästen ihre rasanten, kunterbunten Monologe halten, das konnte sie.
Mir wurde bald klar, dass sie meine Stelle im Handumdrehen übernehmen würde. Und dann kam ein Freitag, und an diesem Freitag kam sie mit blond gefärbten Haaren vom Friseur
zurück. Meine zuvor noch tief schwarzhaarige Bayernschwester in Blond! Sie wollte sich absetzen und unterscheiden von ihrer geliebten Paula, und sie wollte die Ältere zum ersten Mal in ihrem Leben übertrumpfen und abhängen. Als ich das sah, gab ich sofort auf und löste den Verlobungskontrakt. Ich packte meine Sachen, lieh mir einen Wagen und verschwand von einem Tag auf den andern. Wochenlang war ich allein in Sizilien unterwegs, bis ich die Sache hinter mir hatte.
Sie trinkt ihr Glas aus und steht auf, ich sehe, dass dieses Kapitel für sie jetzt beendet ist, sie möchte nicht mehr davon sprechen, sie schüttelt sich ein wenig und geht in das Haus zurück. Ich sehe, wie sie sich auszieht und einen schwarzen, durchgehenden Badeanzug überstreift, und als sie wieder nach draußen kommt, sagt sie:
– Komm, lass uns schwimmen, bevor ich immer weiter rede.
– Moment, sage ich, das Kapitel ist noch nicht ganz zu Ende! Du denkst wirklich daran, irgendwann ein Restaurant zu eröffnen?
Sie schaut mich an und setzt sich langsam wieder. Sie schenkt uns noch einmal Limettensaft nach, nippt an ihrem Glas und sagt:
– Soll ich den Saft nicht etwas veredeln? Man sollte sich nicht wiederholen, auch nicht beim Trinken.
Sie wartet aber nicht auf meine Antwort, sondern geht wieder nach drinnen und holt eine Flasche Prosecco, aus der sie jeweils eine kleine Menge in unsere Gläser gießt. Sie reicht mir mein Glas und sagt:
– Probier mal! Wenn Du es nicht magst, steigen wir wieder auf den puren Saft um!
Ich probiere, und es ist etwas besser als zuvor. Der Limettensaft ist noch sehr rein zu schmecken, aber sein Aroma ist voller, intensiver, von etwas leicht Herbem, Basisartigem durchdrungen und gehalten.
– Sehr gut! sage ich, jetzt schmeckt es noch besser als vorher! Aber sag, wie sähe Dein Restaurant aus? Und was wären Deine Gerichte? Und sollte das Restaurant hier in Mandlica eröffnet werden?
Sie lacht kurz auf, als ich all diese Fragen stelle. (Ich stelle sonst nie so viele Fragen hintereinander, es ist der schlimmste Anfängerfehler, ich lasse mich gehen, was das Fragen betrifft, so geht das nicht, Beniamino! )
– Lass uns später einmal länger darüber reden, die Sonne steht jetzt geradezu ideal, wir sollten ins Meer gehen.
– Ja, sofort, nur ein paar Andeutungen!
– Ein kleiner Essraum, hier in Mandlica, höchstens acht bis zehn Tische! Sizilianische Küche mit Gemüse, Gewürzen und Obst aus diesem Garten, in dem ich die seltensten Sachen anbaue und ernte. Fleisch und Fisch aus dieser Region, ich weiß genau, wo ich einkaufen würde. Und Wein nur aus Marsala, da habe ich selbst jedenfalls den besten sizilianischen Wein getrunken. Und zum Dessert natürlich Dolci aus Mandlica.
– Gibt es das denn wirklich – eine spezifisch sizilianische Küche?
– Aber ja, ich habe mir die Rezepte während meiner Fahrten durchs Land notiert und hier in meiner Einsiedelei nachgekocht. Ich habe experimentiert und lange über jedes einzelne Rezept nachgedacht. Es würde mir Spaß machen, für Dich etwas zu kochen und Dir meine Philosophie zu erklären. Ich weiß nämlich jetzt sehr gut über das Kochen Bescheid, vor allem aber kenne
ich die Fehler, die dabei gemacht werden. Und ich
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