Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind der Rache

Das Kind der Rache

Titel: Das Kind der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
alle drei Versuchstiere tot. Die
kleinen Herzen hatten zu schlagen aufgehört, noch bevor
Marsh mit dem Skalpell in die tiefergelegenen Schichten des
Gehirns einschnitt.
»Sie hätten überlebt«, sagte er zu seinem Sohn, »wenn ich
statt des Skalpells eine Sonde benutzt hätte. Dann wäre nur ein
Teil des limbischen Systems beschädigt worden, die übrigen
Bereiche des Gehirns wären unverletzt geblieben.«
Alex schüttelte den Kopf. »Das hätte auch nichts genutzt,
Daddy. Tatsache ist, daß die Ratten gestorben sind, als du an
ihrem Gehirn die gleichen Einschnitte gemacht hast, wie sie
Dr. Torres bei meiner Operation durchgeführt hat. Warum habe
ich überlebt und die Ratten nicht?«
»Ich weiß es nicht«, gestand ihm Marsh. »Ich weiß nur, daß
du nicht gestorben bist.«
Ein langes Schweigen folgte diesem Satz. Vater und Sohn
standen vor dem Seziertisch und betrachteten die leblosen
Ratten. »Vielleicht irrst du dich«, sagte Alex nach einer Weile.
»Vielleicht bin ich in Wirklichkeit tot.«
    Valerie Benson ließ ihr Strickzeug sinken. Ihr Blick fiel auf
Kate, die auf dem Sofa lag. Das Mädchen hatte den Fernseher
eingeschaltet, aber Valerie war sicher, daß sie das Programm,
das über den Bildschirm flimmerte, überhaupt nicht wahrnahm.
    »Möchtest du mir nicht sagen, was du auf dem Herzen
hast?« fragte sie.
Kate hielt den Blick auf die Mattscheibe gerichtet. »Ich habe
gar nichts auf dem Herzen. Ich bin okay.«
»Nein«, erwiderte Valerie, »du bist nicht okay.« Sie stand
auf, ging zum Gerät und schaltete es ab. »Und jetzt sag mir, ob
du morgen zur Schule gehen wirst oder nicht.«
»Ich weiß noch nicht.«
Schade, daß ich keine Kinder habe, ging es Valerie durch
den Kopf. Dann wüßte ich, wie ich mich in einer solchen
Situation zu verhalten habe. Nachdem sie eine Weile über das
Problem nachgedacht hatte, kamen ihr Zweifel. Auch wenn sie
ein oder zwei Kinder gehabt hätte, sie hätte nicht gewußt, was
sie einem Mädchen, dessen Mutter vom Vater umgebracht
worden war, hätte sagen sollen. Wie konnte man so etwas
einem jungen Menschen überhaupt begreiflich machen? Und
trotzdem konnte sie nicht zulassen, daß Kate ihre Tage vor dem
Fernseher verbrachte.
»Ich finde, es ist Zeit, daß du den Schulbesuch wiederaufnimmst«, sagte Valerie vorsichtig. »Was geschehen ist, Kate,
ist nicht deine Schuld. Ich bin sicher, deine Schulkameraden
werden dich nicht dafür verantwortlich machen.«
Das Mädchen maß Valerie mit einem traurigen Blick.
»Glauben Sie, ich hätte Angst vor dem, was die Kinder sagen?« fragte sie.
»Ja, das glaube ich.«
»Die Jungen und Mädchen in der Schule wußten alle über
meinen Vater Bescheid«, sagte sie. Sie sprach so leise, daß
Valerie sich anstrengen mußte, sie zu verstehen. »Ich habe
allen in der Schule von Vaters Trunksucht erzählt, um
Gerüchten zuvorzukommen.«
Valerie ging zur Couch und setzte sich neben Kate. »Das ist
dir sicher nicht leichtgefallen.«
»Besser, als mir das Getuschel hinter meinem Rücken
anzuhören.« Sie sah Valerie in die Augen. »Er hat getrunken,
aber er ist kein Mörder«, sagte sie. »Er hat Mutter nicht
umgebracht. Mag sein, daß der Anschein gegen ihn spricht,
aber das kümmert mich nicht. Es kümmert mich auch nicht,
daß Vater sich nicht mehr erinnern kann, was in den Stunden
geschah, nachdem er das Haus verließ. Ich weiß, er hat oft mit
meiner Mutter gestritten. Aber er hat sie nie geschlagen. Er hat
sie angeschrien und bedroht, aber er hat sie nie geschlagen. Es
endete immer so, daß er der Entziehungskur zustimmte, die
Mutter vorschlug. Er hat sich dann regelmäßig von ihr ins
Krankenhaus bringen lassen.«
»Wenn es so ist, dann verstehe ich nicht, warum du den
Kontakt mit deinen Schulfreunden meidest. Warum sagst du
ihnen nicht ganz offen, was du über die ganze Sache denkst?«
Kate standen die Tränen in den Augen. »Ich habe Angst«,
flüsterte sie.
»Du hast Angst? Wovor?«
»Ich habe Angst, was in diesem Haus passieren könnte,
wenn ich Sie allein lasse. Vielleicht finde ich Sie bei der
Rückkehr so vor, wie ich meine Mutter...« Kate konnte nicht
weitersprechen, sie begann zu schluchzen. Valerie legte den
Arm um sie und drückte sie an sich.
»Aber Kleines, du brauchst dir doch wegen mir keine Sorgen
zu machen. Warum in aller Welt sollte mir etwas zustoßen?«
»Ich weiß nur eines«, sagte Kate mit tränenerstickter
Stimme. »Meine Mutter ist ermordet worden. Sie befand sich

Weitere Kostenlose Bücher