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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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ihm kaum, sich jetzt, nach dieser Schlacht, mit Dhiras zittriger Stimme und seinem schleppenden Schritt abzufinden.
    Dieser hatte eine weitschweifige, umfangreiche Rede gehalten, halb war es eine Totenklage, halb ein Heldenlied, bis er das Wort schließlich an Ivor weitergab. Levons Vater hatte sich dann erhoben, um für Ra-Tenniel die Geschichte ihres wilden und kaum vorstellbaren Rittes zu erzählen: Innerhalb eines Tages und einer Nacht hatten sie die Hälfte der Ebene hinter sich gebracht, um dann gerade im richtigen Augenblick die Streitmächte des Maugrim bis zum Fluss zurückzuschlagen.
    Dann hatte er mit Anstand das Wort an den Herrn von Daniloth weitergegeben, der seinerseits berichtete, wie er gesehen hatte, dass die Armee der Finsternis Andarien durchquerte, wie er sein Rufglas aus Atronel in Flammen setzte, damit es in Paras Derval eine lodernde Warnung aussprechen möchte, wie er zwei Botschafter auf dem großartigen Raithen ausgesandt hatte, um die Dalrei zu alarmieren, und wie er schließlich und äußerst heldenhaft seine eigene Armee aus dem geschützten Schattenland zur Schlacht am Adein geführt hatte.
    Seine Stimme klang wie Musik, die Noten aber waren von der Trauer bestimmt, als er sprach. Sehr viele aus Daniloth waren gestorben, viele auch aus der Ebene und aus Brennin, denn Mabons fünfhundert Männer aus Rhoden hatten sich ihren Weg in das dichteste Getümmel der Schlacht gebahnt.
    Und diese Schlacht hatte man für verloren geglaubt, obwohl mit dem Mute der Verzweiflung das Höchstmaß der Kräfte eingesetzt worden war. Die Schlacht schien verloren … bis dann ein Horn geblasen wurde.
    Und so erhob sich Dave, der hier auf der Ebene Davor hieß, auf Ivors Aufforderung hin und erzählte seine eigene Geschichte, dass er in seinem Geist eine Stimme gehört habe, die ihn daran erinnerte, was er mit sich führte (und in seiner Erinnerung klang sie noch immer wie Kevin Laine, der ihn wegen seiner Langsamkeit schalt), und dass er dann mit aller Kraft, die er in jener Stunde noch hatte, in Oweins Horn stieß.
    Sie wussten alle, was geschehen war. Alle hatten sie die Schattenfigur am Himmel gesehen, Owein und die Könige und das Kind auf dem fahlen Pferd. Sie hatten beobachtet, wie sie aus großer Höhe herabkamen, die schwarzen Schwäne aus Avaias Brut, die Svart Alfar, die Urgach, die Wölfe von Galadan töteten … und sich anschließend ohne Pause oder Unterschied, ohne Mitleid oder Bedauern gegen die Lios Alfar und die Männer von der Ebene und aus Brennin wandten.
    Bis dann eine Göttin gekommen war und geschrien hatte:
    »Himmelskönig, steck dein Schwert in die Scheide!« Und danach wusste nur noch Davor, der ins Horn gestoßen hatte, was sich bis zum Morgengrauen abgespielt hatte. Er erzählte, dass er auf dem Hügel erwacht war, dass er erfahren hatte, was geschehen war, und dass Ceinwen ihn gewarnt hatte, dass sie kein zweites Mal eingreifen würde, sollte er noch einmal Oweins Horn blasen.
    Das war alles, was er ihnen sagte. Dann setzte er sich wieder. Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass er gerade eine Rede gehalten hatte. Früher hätte ihn allein schon der Gedanke daran gelähmt. Jetzt nicht mehr und nicht hier. Zuviel stand auf dem Spiel.
    »Der Weber sei gepriesen und die leuchtenden Fäden seines Gewirks!« intonierte Dhira ein weiteres Mal und hob seine faltigen Hände vors Gesicht. »Ich verkünde jetzt vor dieser ganzen Gesellschaft, dass es hinfort die Pflicht und die Ehre des ersten Stammes sein wird, diesen Totenhügel mit allen Riten zu pflegen, so dass er auf immer grün sei und …«
    Dave hatte davon mehr als genug. »Glaubst du nicht«, unterbrach er ihn, »dass Ceinwen, wenn sie die Hügel aufschichten und die Toten sammeln kann, ihn auch grün zu halten vermag, wenn sie will?«
    Er zuckte zurück, als Torc ihm zur Strafe einen Tritt gegen sein Schienbein versetzte. Es folgte ein kurzes unbehagliches Schweigen. Dhira fixierte Dave mit einem Blick, der plötzlich sehr scharf war.
    »Ich weiß nicht, wie diese Dinge in der Welt behandelt werden, aus der du kommst, Davor, und ich würde mir nicht erlauben, es zu beurteilen.« Er machte eine Pause, damit Dave diesen Gedanken in sich aufnehmen könne. Dann fuhr er fort: »Und genauso wenig steht es dir an, uns Ratschläge über eine unserer Göttinnen zu geben.«
    Dave spürte, wie er errötete, und wollte eine zornige Antwort geben, aber er bezwang sich und schluckte sie hinunter. Wie zur Belohnung hörte er Avens Stimme:

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