Das Kleine Buch Der Lebenslust
temperamentvollen Musik eines Mozart aufklingt. Yehudi Menuhin sagt: Es ist das Unvorhersagbare, das Überraschende, das Improvisierte: „Die Freude liegt natürlich im Improvisierten und Unvorhersagbaren. Ohne dies würde uns nichts interessieren – weder im Leben noch in der Musik.“ Das stimmt: Ich selber höre mich nie satt an einer Musik, weil sie immer anders klingt, weil sie letztlich immer unvorhersagbar ist, auch wenn die Noten schon seit Jahrhunderten feststehen.
Freude ist überraschend: Wer sein Leben genau plant, so dass alles so abläuft, wie er sich das täglich vornimmt, der mag darin eine gewisse Befriedigung finden. Doch die Freude entsteht eigentlich gerade dann, wenn etwas Unvorhersagbares eintrifft, wennmich ein Freund nach langer Pause wieder anruft, wenn die Sonne auf einmal durch den Nebel dringt, wenn sich ein Problem von selbst löst, wenn eine gute Nachricht eintrifft. Freude und Überraschung sind Geschwister. Dort, wo ich kreativ reagiere auf das, was mich ungeplant durchkreuzt, dann habe ich das Gefühl: Es ist gut so. Ich lasse alles liegen und stehen und gehe mit dem Freund spazieren, der gerade vorbeikommt. Manche tun sich schwer, ihre Planungen durchkreuzen zu lassen. Wenn ich von Terminen belegt bin, dann fällt es mir auch schwer, mich über einen nicht angekündigten Besuch zu freuen. Denn ich kann mir dann kaum Zeit nehmen. Doch wenn ich mehr Kraft darauf verwende, dem Besuch zu erklären, dass ich keine Zeit habe; wenn ich mich nicht auf den kurzen Augenblick der Begegnung, und sei er noch so kurz, einlassen kann, dann nehme ich mir selbst die Freude. Für mich ist Zeitdisziplin sehr wichtig. Da tue ich mich manchmal schwer mit Unvorhersehbarem. Aber ich weiß auch, dass die Disziplin allein nicht die Freude machen kann. Ich nehme mir die Zeit zum Schreiben. Und es braucht Disziplin, sitzen zu bleiben, auch wenn es nicht sofort fließt. Aber Freude kommt mitten in dieser zum Schreiben reserviertenZeit nur dann auf, wenn es auf einmal strömt, wenn Worte mir von der Hand kommen, die ich nicht geplant habe, die unvorhersehbar und unvorhersagbar sind.
Überraschend
Für manche ist die Freude weit weg von ihrer Wahrnehmung. Sie sehnen sich nach Freude. Aber sie wissen nicht, wie sie sie finden könnten. Ich höre in Gesprächen öfter, wie sich Menschen darüber beklagen, dass sie so wenig Freude im Leben erfahren können. Aber je krampfhafter einer nach der Freude sucht, desto weniger findet er sie. Manchmal überrascht uns die Freude, sie greift nach uns, ohne dass wir etwas dazu tun können. Es kommt nur darauf an, dass wir nach uns greifen lassen, dass wir offen sind für die göttliche Überraschung. William Wordsworth drückt diese Erfahrung aus mit den Worten: „Surprised by joy. Überrascht von der Freude.“ Die Vorstellung, die hinter seinem Wort steckt, ist die der Freude als einer Person, die nach mir greift. Freude ist wie eine Person, die mir begegnet. Sie geht durch die Stadt, um mich zu suchen. Was ich tun kann, ist nur: offen zu sein für sie, die mich überraschen möchte. Aber wenn ich unfähig bin, mich überraschen zu lassen, wenn ich gar nicht damit rechne, dass die Freude nach mir verlangt, dann kann sie noch so sehr nach mir greifen. Sie wird an meinem glatten Mantelabrutschen, den ich wie einen Panzer der Hartnäckigkeit umgelegt habe, einen Panzer, der sich durch nichts Neues und Unvorhergesehenes, auch wenn es noch so fröhlich und glücklich auf mich zukommt, überraschen lässt.
Vollkommene Freude
Der indische Philosoph Sri Aurobindo hat einmal gesagt: „Lerne die wahre Freude, und du wirst Gott kennen lernen.“
Mich erinnert das an ein Wort Jesu im Johannesevangelium: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15, 11). Jesu Grundgefühl ist die Freude, die Freude am Sein, die Freude an Gott. Er ist eins mit dem Vater. Freude ist die emotionale Reaktion auf die Erfahrung des Einsseins mit dem Vater. Wenn Jesus spricht, dann spüren die Jünger diese Freude. Sie nehmen die Freude nicht nur am Inhalt seiner Worte wahr, sondern vor allem an seiner Stimme.
In der Stimme hören wir das Gestimmtsein eines Menschen, da bekommen wir Anteil an seiner Stimmung. Es gibt Menschen, bei denen man traurig wird, wenn man ihnen zuhört. Andere verbreiten mit ihrer Stimme Aggressivität oder Unzufriedenheit, Enttäuschung oder Bitterkeit. Jesu Stimme strömt Freude aus. Im Sprechen gibt er uns Anteil
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