Das Kleine Buch Der Lebenslust
haben nicht den Ehrgeiz, die Tanzschritte perfekt zu machen. Wir vergessen die Leute, die um uns herum sind. Allerdings ist es durchaus eine Kunst, zu tanzen und sich auf den Rhythmus der Tanzpartnerin oder des Partners einzulassen. Aber das geht nicht durch Kontrolle, sondern nur durch ein Sich-Loslassen und Sich-Einlassen. Ich kenne Ehepaare, die leidenschaftlich gerne tanzen. Da können sie sich vergessen. Die beruflichen und familiären Probleme fallen von ihnen ab. Sie gehen im Tanzen auf. Aber sie tanzen nicht, um ein Ziel zu erreichen, weder die Lösung ihrerProbleme, noch tänzerische Perfektion. Und sie zählen nicht die Schritte, die sie machen, damit ihr Bewegungspensum für heute erfüllt ist. Sie tanzen, um zu tanzen. Sie empfinden Lust, wenn sie sich miteinander zur Musik den Bewegungen überlassen. Die Lust führt sie auf neue Weise zusammen und hebt ihre Stimmung. Sie wissen, dass es ihnen gut tut. Aber sie beobachten sich nicht, ab wann sich ihre innere Stimmung hebt. Nach einem solchen Tanzabend gehen sie zufrieden und innerlich glücklich nach Hause. Und auf einmal gelingt auch das Gespräch miteinander, das vorher nur zögernd in Gang kam.
Ganz in der Gegenwart
„Freude ist ungeteiltes Sein im Augenblick. Wir freuen uns immer hier und jetzt. Selbst wenn wir Vorfreude haben, empfinden wir sie jetzt, und wir erinnern uns jetzt an vergangene Freuden.“ Margrit Irgang, von der diese Beschreibung stammt, ist Zenlehrerin und Schriftstellerin. Sie hat ein „Buch der Freude“ herausgegeben. Das sind Texte, die dieser positiven Emotion nachspüren. Damit hat sie auf ein Thema aufmerksam gemacht, das bei vielen Dichtern auch in unserer Zeit eine große Rolle spielt.
Die Freude kann uns ganz in den Augenblick versetzen. Wenn ich mich freue, bin ich ganz präsent. Das Denken kreist immer um die Vergangenheit oder Zukunft. Die Freude spüre ich in der Gegenwart, und sie macht mich selber gegenwärtig. In der Freude komme ich mit mir selbst in Berührung. Im Denken bin ich immer von mir selbst entfernt. Die Freude bringt mich in die Nähe zu mir selbst und in die Nähe zum gegenwärtigen Augenblick. Die Freude ist eine Schwester der Lust. Auch die Lust empfinde ich im Jetzt. Über vergangene oder zukünftige Dinge kann ich keine Lust spüren, höchstens wenn das Vergangeneoder Künftige jetzt in meiner Vorstellung gegenwärtig wird. Die Freude schafft Gegenwart. Und umgekehrt bewirkt die Fähigkeit, ganz im Augenblick zu sein, Freude. Freude ist Ausdruck des reinen Seins, der klaren Gegenwart.
Vom Singen der Welt
„Wenn ich das Gefühl einfangen könnte, würde ich es tun: Das Gefühl vom Singen der wirklichen Welt.“ An einem Oktobertag 1929 notierte Virginia Woolf dies in ihrem Tagebuch: Es war offensichtlich eine Erfahrung, die sie tief bewegt hat: Die Welt sang nicht nur. Sie war Singen. Sie war ganz Klang.
Es bedarf einer großen Stille, um das Singen der Welt zu vernehmen. Es ist nicht nur der Wind, der bläst und die Felder und Wälder zum Rauschen bringt. Es ist nicht nur das, was ich mit meinen Ohren zu hören vermag. Auch die schweigende Natur scheint ein Lied zu sein. Sie singt von der Schönheit der Welt.
Aber Virginia Woolf erkennt zugleich, dass sie das Gefühl vom Singen der Welt nicht einfangen und nicht festhalten kann. Es sind kostbare Augenblicke, in denen wir etwas vom Lied erahnen, das die Welt ist.
Das Lied in allen Dingen
Der romantische Dichter Eichendorff hat die Erfahrung gemacht: „Die ganze Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort ...“
Für Eichendorff ist es ein Wort, das die Welt zum Klingen bringt, nicht nur ein inneres Ahnen. Die griechische Philosoph Pythagoras und seine Schule sprachen vom Sphärenklang der Welt. Auch für sie war die Welt ein Lied voller Harmonie. Der Mensch, der sich schweigend dem Geheimnis der Welt nähert, vermag in Augenblicken besonderer Gnade dieses Lied der Welt zu vernehmen. Wenn er es vernimmt, dann erfüllt es ihn mit einer nie erlebten Freude, mit einem inneren Frieden, mit einer Lust, die ihm auch das Verstummen der Welt nicht mehr zu rauben vermag.
Improvisationen der Freude
Yehudi Menuhin, der große Geiger, hat mit seinem Spiel unzählige Menschen erfreut und die Musik als eine wichtige Quelle der Freude vielen Menschen nahe gebracht. Woher rührt diese Freude? Ich kann es selbst nicht genau erklären. Für mich ist es der Wohlklang der Bachschen Musik, die innere Zustimmung zum Leben selbst, die in der
Weitere Kostenlose Bücher