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Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken

Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken

Titel: Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Hatt , Regine Dee
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Künstlerin Sigrun Lilja Gudjonsdottir auf die Idee, »dieKraft der isländischen Natur in die Häuser der Menschen zu tragen«. Und zwar mithilfe eines Parfums, das neben Zitrusnoten das Schmelzwasser des Vulkans enthält. EFJ Eyjafjallajökull sei ein »explosively terrific perfume« findet die Herstellerfirma Gydja.
    Aber nicht nur in solchen Extremsituationen können Länder und Städte sehr verschieden riechen. Nach Industrie und Verkehr, nach den Gewürzen, mit denen gekocht wird, nach ihren Bewohnern. In London weht ein typisches Gemisch aus heißer Luft und abgeriebenem Gummi durch die Tunnel der U-Bahn. Besonders penetrant rochen die DDR -Züge, mit denen man einst nach Berlin reiste. Ein atemberaubender Desinfektionsgeruch empfing den ungeliebten Fahrgast aus dem Westen und mischte sich – kombiniert mit dem beißenden Gestank von Schwefeldioxid aus der Braunkohleverbrennung – zu dem einzigartigen Bitterfelder Geruchscocktail. Dennoch gab es Einwohner der Stadt, für die dieser Geruch etwas Vertrautes war: der Geruch ihrer Heimat. Für manchen Menschen, der seinen Geruchssinn verloren hat, ist es sogar schlimmer, die heimatlichen Gerüche nicht mehr wahrnehmen zu können als auf den Geschmack beim Essen und Trinken zu verzichten. Denn mit dem Heimatduft verlieren sie eine Vertrautheit, die sie zeitlebens begleitet hat, und ein Gefühl der Geborgenheit, das sie nirgends mehr finden.
    Die Berliner Luft, Luft, Luft mit ihrem holden Duft war schon Ende des 19. Jahrhunderts in aller Munde. Als Synonym eines Lebensgefühls hatte sie der Komponist Paul Lincke in der Welt berühmt gemacht, später wurde sie der erste Städteduft, den Touristen als Souvenir in einer Dose mit nach Hause nehmen konnten. Wie Berlin heutzutage riecht, hat die Duftkünstlerin Sissel Tolaas herausgefunden. In ihrem Berlin-Parfum Northsoutheastwest fängt sie die Kebab-Buden von Neukölln ebenso ein wie die Sonnenstudios von Reinickendorf und die Schuhgeschäfte in Berlin-Mitte. Seit Jahren sammelt die Künstlerin mithilfe einer speziellen Technik Duftmoleküle ein und hat Tausende in ihrem Berliner Atelier-Labor analysiert. Ihre Projekte sind legendär, denn sie begeistert sich auch für Kamelmist, Angstgerüche und Männerschweiß. Für das Militärhistorische Museum in Dresden kreierte
sie jüngst einen Duft mit dem Namen »Gestank des Krieges« – eine Mischung aus verwesendem Fleisch, Erde, Holz, Schweiß und Schwarzpulver, der dem Besucher auf Knopfdruck in die Nase steigen soll. Sissel Tolaas ermittelte auch »dem Ruhrpott sein Duft« – eine Komposition aus Kohlenstaub, Steinen, abgeschabter Farbe und Rost, die erstmals vor dem Förderturm der Zeche Zollverein versprüht wurde.
    Parfumeure entwickelten ein Hamburg-Parfum. Einen Duft der Freiheit, bestehend aus Fischmarkt und Schlepperdiesel? Keineswegs! »Zitate von grünem Pfeffer« finden sich in der Kopfnote – angelehnt wohl an die berühmten Pfeffersäcke der Stadt. Sie gehen mit Patschuli, Rose und Bergamotte eine »facettenreiche Harmonie« ein, wie die Experten betonen. Einen echten »City-Duft« hat auch Krefeld, weitgehend unterschätzt im öffentlichen Interesse, denn wer weiß schon, dass Krefeld die Samt- und Seidenstadt ist? Dieses Verdienst wird mit Düften aus Ginko, Rose und Sandelholz gewürdigt.
    Doch wer ehrlich ist, muss feststellen: Städte riechen nicht immer elegant. Das hessische Fritzlar beispielsweise umweht der bodenständige Duft nach Sauerkraut, weil die Firma Hengstenberg dort eine der größten Sauerkrautfabriken der Welt betreibt. Die Stadt Salzburg leidet alljährlich zu den Festspielen unter dem beißenden Uringeruch der Fiaker-Pferde. Und Paris? »Paris will immer nur Chanel No 5 sein«, sagt Sissel Tolaas. »Für mich ist Paris Bäckereien, Metro und Hundescheiße.«

Körperdüfte und ihr
widersprüchliches Dasein

Wo alle stinken, riecht keiner

    Die tägliche Dusche samt Duschgel und anschließend Deo scheint uns heute unverzichtbar. Das war nicht immer so, und wahrscheinlich hätten wir vor einigen Hundert Jahren mit unseren modernen Nasen gefunden, dass alle ziemlich widerlich riechen. Aber die Menschen waren unter ihresgleichen und lebten nach dem Motto: Wo alle stinken, riecht keiner. So ist überliefert, dass der Franzose des 17. Jahrhunderts sich damit begnügte, seine Hände gelegentlich in warmes Wasser zu tunken. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, den ganzen Körper einer, wie man glaubte, kräftezehrenden Waschung zu

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