Das Kloster der Ketzer
und sie zunächst gar nicht reagierte.
»Was hast du gesagt?«, fragte sie nach einer wiederholten Aufforderung.
Sebastian winkte ab. »Ach, wir drehen uns im Kreis und kommen einfach keinen Schritt weiter«, sagte er verdrossen. »Aber das hast du dir bestimmt selbst schon gesagt, so schweigsam wie du geworden bist.«
»Nein, das habe ich ganz und gar nicht!« Sie funkelte ihn an, weil sie seinen versteckten Vorwurf sehr wohl mitbekommen hatte. »Aber wenn man eine ganze Reihe von Möglichkeiten schon als untauglich verworfen hat, muss man sie ja wohl nicht immer und immer wieder durchkauen, oder?«
Sebastian schoss das Blut ins Gesicht. »Verzeih mir, das war gemein von mir«, sagte er zerknirscht und griff nach ihrer Hand. »Es tut mir Leid, Lauretia. Ich wollte dich nicht verletzen. Das ist das Letzte, was ich möchte. Bitte vergiss es schnell wieder.«
Sie erwiderte den Druck seiner Hand und schenkte ihm ein verzeihendes Lächeln. »Schon gut, ich weiß, wie dir zumute sein muss. Es ist, als ob man vor einer unüberwindlichen Wand steht. Aber ich glaube nicht, dass wir die Hoffnung schon aufgeben müssen.« Sie zögerte kurz, bevor sie weitersprach. »Mir ist da ein Gedanke gekommen.«
»Sag bloß, dir ist etwas eingefallen, was uns weiterbringen kann!«, rief Sebastian aufgeregt.
Auch Bruder Scriptoris sah sie erwartungsvoll an.
Lauretia wiegte den Kopf hin und her, als könnte sie sich selbst nicht schlüssig darüber werden, was von ihrem Einfall zu halten sei und ob sie ihn überhaupt aussprechen solle. »Reißt mir jetzt nicht den Kopf ab«, sagte sie schließlich. »Aber von einem richtigen Einfall, der auch nur annähernd Hand und Fuß hat, kann nicht die Rede sein. Und deshalb will ich diesen... nun ja, nebligen Gedanken erst einmal besser für mich behalten.«
»Aber warum?«, fragte Sebastian und hatte Mühe, keine gekränkte Miene zu machen.
»Weil ich nicht falsche Hoffnungen in dir wecken möchte«, antwortete sie. »Lasst mir ein wenig Zeit, meinen eigenen vagen Gedanken erst richtig auf die Spur zu kommen und mich in der Stadt umzuhören.«
Sosehr Sebastian sie auch bedrängte, ihnen doch wenigstens einen Hinweis zu geben, in welche Richtung sich ihre »nebligen Gedanken« bewegten, Lauretia war doch nicht zu bewegen, ihm den Gefallen zu tun. Und als sie ihn und den Mönch schließlich verließ, weil sie sich dringend wieder bei Meister Dornfeld blicken lassen musste, ließ sie ihn in einem quälenden Widerstreit zwischen banger Hoffnung und abgrundtiefer Niedergeschlagenheit zurück.
Zwei entsetzlich lange Tage und Nächte lebte Sebastian mit
der peinigenden und zugleich doch auch Hoffnung spendenden Frage, ob Lauretia womöglich das verborgene Tor zu dem Wunder gefunden hatte, das sie brauchten, um seinen Vater zu retten.
Dann kam die frühe Abendstunde, in der Lauretia mit der Sprache herausrückte. Und was sie ihnen mitzuteilen hatte, war mehr als nur neblige Gedanken. Weit mehr!
4
Ungläubig sah Sebastian sie an, und er brauchte einen Moment, um seine Sprachlosigkeit zu überwinden. »Verrückt!«, stieß er dann hervor, als zweifelte er an Lauretias gesundem Menschenverstand. »Das... das ist der reinste Wahnsinn!«
Bruder Scriptoris räusperte sich. »Ich gestehe, mir lag Ähnliches auf der Zunge.«
»Wieso?«, fragte Lauretia keck zurück, hatte sie doch schon mit solch einer ersten Reaktion gerechnet. »Ich halte das keineswegs für verrückt.« Sie wandte sich an den Mönch. »Wie Ihr schon vor Tagen richtig gesagt habt, ist die Festung Oberhaus uneinnehmbar und der Zugang für uns eigentlich unmöglich. Und da dem so ist, müssen wir eben zu einer List greifen, um das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Denn wirklich uneinnehmbar ist keine Festung auf Erden. Bisher ist noch jede gefallen, wenn ihre Angreifer sie um jeden Preis einnehmen wollten oder mussten.«
»Was hat denn dein Vorschlag, den Domherrn in unsere Gewalt zu bringen, mit einer List zu tun?«, wollte Sebastian
wissen, dem es schwer fiel, sich seine bodenlose Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. In den vergangenen beiden Tagen hatte er sich sehr an die Hoffnung geklammert, dass Lauretia sie mit einer wirklich Erfolg versprechenden Idee zur Befreiung seines Vaters überraschen würde. »Das ist doch heller Wahnsinn und völlig undurchführbar! Und ich dachte die ganze Zeit...« Er führte den Satz nicht zu Ende, sondern schüttelte nur verständnislos den Kopf.
Lauretia nahm ihm seine grimmige
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