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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M Schroeder
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Enttäuschung nicht übel. »Als Wolfram Mahlberg, der großherzige Vagant und Wanderscholar, sich damals meiner annahm und er mir noch nicht das Lesen und Schreiben beigebracht hatte, las er mir einmal aus einem Buch vor, das von einem Schriftsteller aus dem alten Griechenland verfasst worden war und das den Titel Ilias trägt«, berichtete sie, scheinbar ohne jeden Zusammenhang mit den drängenden Fragen, die Sebastian und Bruder Scriptoris beschäftigten.
    »Homer heißt der Mann, der die Geschichte geschrieben hat«, warf Sebastian brummig ein. »Aber was hat dieses uralte Heldenepos mit uns und unserer verfahrenen Situation zu tun?«
    »Nun, in dieser Geschichte geht es doch auch darum, dass Troja jahrelang von seinen Feinden belagert wird, ohne dass es diesen gelingt, den Widerstand der Verteidiger zu brechen und diese stark befestigte Stadt zu erobern. Auch Troja galt als uneinnehmbar, wie hier die Festung Oberhaus, und dennoch fiel sie«, fuhr Lauretia unbeirrt fort. »Denn in der Ilias verfallen die erfolglosen Belagerer schließlich auf die raffinierte List, ein riesiges hölzernes Pferd zu bauen, es vor den Mauern der Stadt zurückzulassen und dann scheinbar abzurücken, als hätten sie ihre Niederlage akzeptiert.«
    Sebastian zuckte die Schultern, kannte er das Heldenepos doch nur zu gut. »Ja, und in Wirklichkeit ist das riesige Pferd
innen hohl und voll von bewaffneten Kriegern, die sofort ausschwärmen und dem eiligst zurückkehrenden Heer die Tore öffnen, als die ahnungslosen Trojaner das trügerische Abschiedsgeschenk in ihre Stadt gezogen haben und schon ihren Sieg feiern. Das war dann das Ende von Troja. Aber ich verstehe noch immer nicht, was das mit uns zu tun haben könnte. Denn der Domherr ist wirklich alles andere als ein willenloses, hölzernes Pferd, das sich ohne weiteres herumschieben lässt!«
    »Wir müssen ihn eben dazu bringen, dass er für uns so etwas Ähnliches wie dieses Trojanische Pferd wird«, beharrte Lauretia. »Wenn er um sein nacktes Leben bangen muss und weiß, dass wir nichts zu verlieren haben, wird er schon tun, was wir von ihm verlangen.«
    »Schön und gut, aber wie soll das zu bewerkstelligen sein?«, fragte Bruder Scriptoris nun. Er ahnte mittlerweile, dass Lauretia sich auch darüber schon sehr konkrete Gedanken gemacht hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass ihre Idee Aussicht auf Erfolg hatte. Alles andere hätte seiner Einschätzung nach wohl kaum zu ihrem Wesen gepasst. Er kannte sie erst kurze Zeit, doch wusste er, dass sie nicht dazu neigte, sich in Illusionen zu flüchten.
    »Wie schon gesagt, wir müssen den Domherrn in unsere Gewalt bringen«, erklärte sie bereitwillig. »Und wenn er weiß, dass es auch um sein Leben geht...«
    »Langsam! Lass uns doch erst mal bei dieser ersten Bedingung bleiben, nämlich wie wir ihn in unsere Gewalt bringen könnten!«, fiel Sebastian ihr mürrisch ins Wort. »Wie sollen wir drei Figuren das denn anstellen? Sollen wir ihn vielleicht in seinem Haus oder gar auf offener Straße überfallen, wo er sich doch immer von seinen bewaffneten Dienstmännern begleiten lässt?« Er lachte kurz und freudlos auf. »Das zu versuchen wäre garantiert der schnellste Weg, um selbst im Handumdrehen
auf der Folterbank und schließlich auf dem Richtplatz zu landen!«
    Nun warf Lauretia ihm doch einen ungehaltenen Blick zu. »Ich verstehe ja, dass du erst mal skeptisch bist. Aber wenn du die Güte hättest, mich in Ruhe ausreden zu lassen und euch auseinander zu legen, was ich in Erfahrung gebracht habe, dann ist immer noch Zeit, meinen Vorschlag für untauglich zu erklären und nach einem besseren zu suchen!«, wies sie ihn zurecht.
    Bruder Scriptoris nickte nachdrücklich. »Recht hat sie, Sebastian. Also lass sie erst einmal ausreden, ohne ihr gleich bei jedem Satz ins Wort zu fallen.«
    Beschämt von dieser doppelten Rüge, senkte Sebastian den Kopf. »Entschuldige«, murmelte er kleinlaut. »Bitte rede weiter, Lauretia. Ich verspreche auch, den Mund zu halten und dich nicht wieder zu unterbrechen.«
    Lauretia tauschte mit dem Mönch einen belustigten Blick. Dann nahm sie ihren Faden wieder auf. »Als mir der Einfall mit der List kam, habe ich mir stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, wie das bloß zu machen ist. Aber ich habe die letzten beiden Tage und Nächte nicht nur gegrübelt und schon gar nicht Däumchen gedreht, sondern ich habe versucht, so viel wie möglich über Tassilo und seine Handlanger in Erfahrung zu bringen.

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