Das Koenigreich der Luefte
Bogen. Harry nutzte seine animalische Geschmeidigkeit, um wegzutauchen, zuzuschlagen und zuzutreten. Er wich zurück, wenn der Dampfmann vorrückte, aber dennoch schien es, als ob er nie an Boden verlor, sondern den Dampfsoldaten immer nur umkreiste und geradezu fließend umspielte.
Nach einer Minute des Zuschauens schien es gar nicht mehr wie ein Zweikampf – die beiden Gegner gingen so aufeinander abgestimmt vor, dass es mehr nach einem sorgsam einstudierten Tanz aussah, mehr nach Kunst als nach Gewalt. Oliver war so in das Schauspiel vertieft, dass er zusammenzuckte, als der Kampf mit einem Glockenschlag beendet wurde. Er hätte später kaum sagen können, ob er zwei oder dreißig Minuten gedauert hatte. Harry verbeugte sich vor dem Dampfmann; er schwitzte so stark, dass er aussah, als käme er gerade vom Schwimmen, während Dampf aus dem überhitzten Kessel Meister Säges quoll, der durch die zusätzliche Energie, die er verbraucht hatte, rot glühte.
Meister Säge neigte den helmartigen Kopf. »Die Form des Wassers – eine gute Wahl im Kampf gegen Metall.«
»So brachte man es mir bei, Marschallsritter. Obwohl Feuer das Wasser schlägt.«
Meister Säge hob die bandagierten Kampfglieder. »Selbst die Dampfritter benutzen in einem Schaukampf keine Flammenwaffen.«
Harry Stave hatte nun Oliver entdeckt und ging zu ihm hinüber. »Mein Junge! Wir haben uns eine Weile ganz schön Sorgen um dich gemacht. Sie haben mich nur einmal zu dir gelassen, und da warst du in einem verdammt üblen Zustand.«
»Offenbar war Ihr Misstrauen in unsere Fähigkeiten unbegründet, was die Heilung Ihres Freundes betrifft«, sagte Konstrukteur Goldkopf.
Harry warf dem Metallgeschöpf einen langen Blick zu und führte Oliver etwas abseits, wo man ihr Gespräch nicht mithören konnte. »Ich hatte einen Menschenarzt ausfindig gemacht, der hier alle Händler versorgt, die sich in den Bergen, bei Erdrutschen oder Stürzen verletzen, aber er war ein Blahattsüchtiger, den man zu Hause zweifelsohne rausgeworfen hatte. Da dachte ich, dass du bei unserem Schimmerschädel und seinen Kumpels bessere Chancen hättest, nachdem ich sie davon überzeugt hatte, dass du keine Metallglieder wolltest.«
»Mir geht es jetzt gut, Harry.«
»Guter Junge. Ich wäre auch nicht gern deinem Vater unter die Augen getreten, wenn ich irgendwann den Zirkel entlangschreite, und hätte ihm erklären müssen, wieso ich zuließ, dass sein Sohn auf der Walz mit dem alten Harry den Löffel abgab.«
»Wieso sind wir hier, Harry? Was will König Dampf von uns?«
»Irgendwas hat diese Jungs hier mächtig durcheinandergebracht«, sagte Harry. »Sie verstecken das zwar, aber so gut, dass man es nicht merken würde. Ich zweifle nicht daran, dass ihr lustiger König genau weiß, was läuft. Am Hof habe ich eine Menge hochrangige Leute getroffen, wie den alten Meister Messerarm da drüben, nicht aber König Dampf. Er ist ein Querdenker, Oliver. Er kann sich zwischen verschiedenen Körpern hin und her bewegen und Hunderte gleichzeitig kontrollieren, wenn er will. Ich glaube, er hat mit mir Spielchen gespielt. Immer wieder kommen irgendwelche Dampfmänner auf mich zu und fangen ein Gespräch mit mir an – Köche, Soldaten und so. Aber es ist immer, als würden sie ein und dieselbe Unterhaltung fortführen. Ich nehme mal an, ein paar von ihnen waren Seine Majestät.«
Oliver warf einen Blick durch den Saal. Demnach konnte der König hinter jedem der Dampfmänner in ihrer Umgebung stecken, vielleicht sogar hinter mehreren gleichzeitig, und sie aus verschiedenen Blickwinkeln beobachten.
»Ich denke nicht, dass sie uns etwas Böses wollen. Jedenfalls nicht sofort«, setzte Harry hinzu. »Ansonsten hätten sie uns da unten an der Grenze ja der Gnade der Rotröcke und der Sklavenjäger überlassen können.«
Ein Höfling, der sich auf einem einzigen walzenartigen Rad fortbewegte, näherte sich den beiden. »König Dampf wünscht Ihre Anwesenheit.«
»Wird auch Zeit«, brummte Harry. »Ich sitze hier ja auch schon eine Woche in Ihrem Palast herum.«
»Es geht nicht um Sie, Harry Weichkörper«, sagte der Höfling. »Es ist das andere Säugetier, dessen Anwesenheit gewünscht wird.«
»Jetzt wollen Sie mich aber wohl zum Besten halten, oder?«, protestierte Harry.
»Ich habe meine Befehle, und sie sind völlig eindeutig. Ich bin sicher, dass dies nicht herabwürdigend gemeint ist.«
»Dann werde ich es natürlich auch nicht so auffassen«, fauchte Harry. »Geh, mein
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