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Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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zurückgeholt worden war, und sie war völlig leer: Sie konnte atmen, man konnte ihr Flüssigkeiten und Brei einflößen, aber in ihr war sonst gar nichts mehr. Man hätte sich genauso gut den Finger abhacken, ihn wegwerfen und dann erwarten können, dass er dankbar wieder zurückgelaufen kommt. Ich nehme an, Baumkopf ist das Zentrum des Ganzen, die Spinne in der Mitte des Netzes. Die Drohnen müssen in seiner Nähe bleiben, um die Befehle zu empfangen, und der Feigling geht nie woanders hin. Sie haben doch gesehen, wie entsetzt er war, als er die Insekten in meinen Haaren entdeckt hat.«
    »Der Herrscher will diese Krone, um den Schwarm zu vergrößern«, sagte Amelia. »Glauben Sie mir. Ich habe mein Leben damit zugebracht, mich anhand der kleinsten Hinweise in die Gedankenwelten von Kulturen und Königreichen hineinzudenken, die vor Tausenden von Jahren existierten. Ich weiß zwar nicht genau, wie die Krone dazu beitragen kann, aber der Daggischtenherrscher, der Schwarm will sich ausbreiten.« Sie sah auf den Schiffsfriedhof hinab. »Und das schon seit einer ziemlich langen Zeit.«
    Bull ließ die Kugel neben dem Feld zerstörter Schiffe weiter absinken und las dabei den Tiefenmesser ab. »Baumkopf hat doch schon eine Krone, die hat den Daggischten offenbar auch nicht viel gebracht. Abgesehen
von ihrem symbolischen Wert, was ist so besonders an einer Königskrone? Diese Kinkerlitzchen gab’s im Dutzend billiger am Exil-Königshof in Porto Principe, und uns haben sie gar nichts gebracht, als Ihr Parlament mit seinen Aerostaten anrückte. Macht zählt, nicht die Kleider, die man trägt.«
    Das stimmte. Irgendetwas an der Krone brachte Amelia ins Grübeln, aber was? Irgendetwas, das sie in dem Kristallbuch von Jackals gesehen hatte. Irgendetwas ganz Offensichtliches. Ihr archäologisches Gespür lief auf Hochtouren, und sie fühlte jenes wilde Prickeln, das sie stets empfunden hatte, wenn sie kurz davor stand, einem versteckten Geheimnis der Geschichte auf die Spur zu kommen. »Es ist keine Königskrone. In der camlantischen Gesellschaft gab es keine Hierarchie oder Aristokratie. Die Krone stammt von einem Leser-Verwalter, einem Wissenskoordinator. Denken Sie an eine Mischung aus einem Hauptbibliothekar und einem Verwaltungsbeamten aus Greenhall.«
    »Kein König, nicht einmal ein gewählter Dieb wie Ihr Erster Hüter?«, fragte Bull ungläubig. »Wie haben Ihre Camlantiker dann beschlossen, wie was getan wird, wer zu den Hochwohlgeborenen gehörte und wer die Befehle auszuführen hatte?«
    »Derjenige, der in einem bestimmten Bereich über das größte Wissen verfügte, fällte auf diesem Gebiet auch die Entscheidungen«, sagte Amelia. »Wenn jemand auftauchte, der mehr davon verstand und der weiser war, dann trat der bisher Amtierende zurück. Wenn es
bei einer Sache grundlegende Meinungsverschiedenheiten gab, dann stimmte jeder in der Stadt, der glaubte, genug Erfahrung für eine formlose Beurteilung zu besitzen, darüber ab.«
    »Sie machen Witze«, maulte Bull. »Das klingt genauso bekloppt wie die Anarchie, die es in den catosischen Stadtstaaten oben im Norden gibt. Keine Gesetze, Gewaltherrschaft, die starke Klinge überlebt …«
    »In der camlantischen Gesellschaft gab es keine Gewalt, Kammerlan, keinen Hunger, keine Armut, keine Verbrechen. Sie hatten in der Ingenieurskunst einen Grad der Vollendung erreicht, mit dem verglichen das Königreich von Jackals wie ein Stamm wilder Craynarbier wirkt, die den Ufern des Shedarkshe mühsam ihren Lebensunterhalt abringen. Das Geheimnis, wie man diese Stufe erlangt, ist der Grund, weshalb wir uns hier in Liongeli auf die Suche gemacht haben, und nicht die Silbermünzen aus Quests Rechenkontor.«
    Bull schüttelte angesichts der Naivität der Professorin seufzend den Kopf. »Und wer hat diese ganzen Berichte über die perfekte Gesellschaft aufgezeichnet, Süße? Doch nicht zufällig dieselben ›Wissenskoordinatoren‹, die sich um den ganzen Laden gekümmert haben, oder etwa doch?«
    »Camlantis wird auch in jedem geschichtlichen Dokument jener Zeit, das wir von den Nachbarn dieses Staates kennen, voller Ehrfurcht erwähnt. Das war keine Propaganda.«
    »Na schön.« Bull verdrehte erheitert die Augen.
»Dann hat sich wohl die menschliche Natur in den letzten paar tausend Jahren ziemlich verändert, und zwar nicht unbedingt zum Besseren.« Er hob den Kopf näher an das Bullauge am Steuermannsplatz. »Und das, was da draußen liegt, ist wohl das, was von Ihrer

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