Das Königsmal
Fluren des Palastes beobachtete, erschrak ich über das Leid, das seine Schultern zu Boden drückte.
Allein Wiebke drang zu ihm in seine Abgeschiedenheit durch. Sie verbrachte viele Stunden an seiner Seite und belebte seine grauen Tage und die durchwachten Nächte, in denen er den Schlaf nicht auf seine Seite ziehen konnte. Sie hielt Verbindung mit der Welt, sie war sein Sprachrohr, wenn er nicht einmal den Kronprinzen oder Reichskanzler empfangen wollte. Und sie berichtete ihm von den Fortschritten der Friedensgespräche.
Im Dezember anno 1644, als sich endlich alle Bedenken gegen den Kongress verflüchtigt hatten, waren die Gesandten erstmals zusammengetroffen, anderthalb Jahre nachdem der Kaiser seine Zustimmung gegeben hatte und mehr als zweieinhalb Jahre nach dem ursprünglich in Hamburg festgesetzten Datum. Man hatte die westfälischen Städte Münster und Osnabrück ausgewählt – das kaiserliche Münster für die Verhandlungen mit Frankreich, Osnabrück, schon lange in schwedischer Hand, für die Gespräche mit den Schweden. In Münster sollte zudem unter Vermittlung der römischen Kurie und der Republik Venedig über ein Ende des Kampfes zwischen den Königen von Spanien und Frankreich verhandelt werden. Beide Städte waren nun neutrale Territorien. Niemand durfte die Waffen gegen sie erheben, obwohl die Kämpfe außerhalb ihrer Stadtmauern weitertobten.
König Christian verfolgte die Ereignisse mit einem letzten, bitteren Interesse. „Ich habe diesen Frieden vermitteln wollen“, stöhnte er, wenn ein Kurier Neuigkeiten von den Verhandlungen nach Kopenhagen meldete. Mehr als zwölftausend Männer, Gesandte und deren Delegationen, hatten sich versammelt, um über einen ewigen Frieden zu beraten. Zu Beginn war auch Dänemark vertreten gewesen, doch nach der Niederlage gegen Schweden hatte der König alle seine Unterhändler bis auf einen Beobachter zurückrufen müssen.
Der Wille, zu einem guten Ergebnis zu kommen, war bei allen Parteien groß, doch die Friedensgespräche schleppten sich nur mühsam voran. Da die Gesandten nur Vertreter, nicht aber Herren ihrer Politik waren, mussten sie erst an ihre heimischen Höfe berichten und neue Weisungen abwarten. Die streitenden Parteien überreichten den Vermittlern endlose Schriftrollen und nahmen die gegnerischen Vorschläge entgegen, die beraten oder an die fernen Höfe weitergeleitet wurden. Boten und Kuriere eilten durch die Länder. Wenn ein kaiserlicher Kurier die Strecke von Münster nach Wien in weniger als zwanzig Tagen zurücklegte, galt dies als erstaunliche Leistung. Tägliche Bittgottesdienste, Prozessionen und versöhnende Predigten begleiteten den verwickelten Lauf des Kongresses.
König Christian, dessen Verstand nichts von seiner Klarheit eingebüßt hatte, erklärte Wiebke die Schachzüge der Diplomaten. Ich hörte seine Worte, aus denen die Erfahrung seines langen Lebens sprach.
„Die große Mächte sind vor allem bestrebt, ihre Ansprüche durchzusetzen“, erläuterte er. „Die Dynastie der Habsburger, die jüngere deutsche und die ältere spanische Linie, sieht sich nach alter Tradition an der Spitze aller Monarchien stehend. Sie beansprucht die Vorherrschaft in Europa. Doch die Kräfte Spaniens haben sich in den unendlichen Kriegen verbraucht und sind längst nicht mehr fähig, das riesige Reich gegen die Angriffe der Niederländer und Franzosen zu schützen.“
Wiebke nickte und ließ den König fortfahren, froh, dass ihn die Meldungen für einen Moment aus seiner Lethargie rissen.
„Frankreich dagegen ist davon überzeugt, dass die Habsburger die Freiheit Europas bedrohen. Das verbündete Schweden will zudem durch Land für die hohen Kriegskosten entschädigt werden und verlangt wohl Pommern als Satisfaktion. Der Kaiser und sein Anhang wünschen vor allem auf der Grundlage des Prager Friedens zu verhandeln, um die kaiserlichen Erblande nicht zu gefährden.“
„Wie sollen die Gesandten nur allen Begehrlichkeiten gerecht werden?“, fragte Wiebke zweifelnd. „Und wie soll schließlich weltliches Denken über die Frage des Glaubens richten?“
„Könnte ich entscheiden“, antwortete der König, „würde ich nach einer Einigung über die französischen Ansprüche suchen, um dann zwischen dem Kaiser und den Schweden zu vermitteln. Zuletzt müssten die schwierigen deutschen Fragen geregelt werden. Ich denke, das kirchliche Problem kann nur durch die Bestimmung eines Normaljahres gelöst werden.“
„Ein Normaljahr?“ Wiebke
Weitere Kostenlose Bücher