Das Königsmal
Wir wissen am besten zu schätzen, wer uns treu dienen will. Behalte die Münze, auch wenn wir uns nicht mehr wiedersehen sollten.“
Dann nickte der König Wiebke zum Abschied zu und zog mit seinem Gefolge in die Stadt ein, wo sich inzwischen viele Bramstedter auf dem Marktplatz vor dem Gutshaus versammelt hatten. Die Ankunft des Königs hatte sich schnell herumgesprochen.
Benommen blieb Wiebke zurück. Hatte sie geträumt? Doch dass die Begegnung nicht einem Hirngespinst entsprungen war, bewies ihr das Geldstück. Glänzend lag es in ihrer Hand.
Und auch die neugierigen Bürger bestürmten sie jetzt mit Fragen. Was hatte der König von ihr gewollt? Warum hatte er mit der Magd gesprochen und nicht zuerst den Gutsherrn begrüßt?
Aber das Mädchen war viel zu durcheinander, als dass es vernünftig hätte antworten können. Ja, Wiebke hatte sogar vergessen, sich von Seiner Majestät zu verabschieden. Ihr war es nicht einmal in den Sinn gekommen, einen Knicks zu machen. So überließ sie es ihrem Herrn, die merkwürdige Szene zu erklären.
Als die Neugier der Bramstedter befriedigt war, sagte Jörgen Götsche nachdenklich: „Das Beste ist, ich spanne die Pferde an und fahre gleich mit dir nach Hause. Dann kann dein Vater entscheiden, was passieren soll.“
Wiebke jedoch war nicht wohl bei diesem Gedanken. Wie würde der Vater reagieren, wenn sie sich so unvermittelt von ihrer Familie lossagen würde? Schließlich sollte er nach seiner Frau nun auch seine geliebte Tochter verlieren – an den König und die Fremde.
„Besser wäre es, mein Vater käme hierher. Wenn er seine Erlaubnis nicht geben will, muss es nicht gleich das ganze Dorf erfahren“, bat sie deshalb. Vor ihren Augen blitzte das Gesicht Hans Soodts auf, der vertrauensvoll auf ihre gemeinsame Zukunft wartete. Und so sandte der Hufner einen Knecht, um Henneke Kruse nach Bramstedt zu holen.
Wiebke war unterdessen wieder an die Arbeit gegangen. Doch ihre Hände zitterten, und in ihrem Inneren tobte ein stürmischer Kampf. Obwohl sie die Ankunft des Vaters kaum erwarten konnte, war sie gleichzeitig voller Furcht. Seine Entscheidung konnte ihr Leben verändern, und ein Nein würde sie kaum ertragen können.
Unruhig wandte sie sich immer wieder nach der Brücke um, über die auch der Bauer in die Stadt hineinreiten musste.
„Die Hoffnung ist größer als das Meer“, flüsterte sie beschwörend in den Wind.
Auf der anderen Seite des Flusses zog der Duft von gebratenem Fleisch durch das Herrenhaus. Das Gutsherrenpaar bat den königlichen Gast an der langen Tafel zu Tisch. Arndt Stedingk hatte seine Frau durch einen Boten von Christians Ankunft unterrichten lassen. Auch einige hohe Herren der Stadt waren geladen worden. Die in ihre Festtagskleider gewandeten Gäste blickten dem König mit erhitzten und gespannten Gesichtern entgegen, als er mit seinem Gefolge in die Halle des Herrenhauses trat.
„Verzeiht meinen Auftritt“, entschuldigte Christian seine staubige Reisekleidung und die dreckigen Stiefel, während er die Gastgeberin, eine dralle Matrone mit welkem Busen, begrüßte. „Wir wurden aufgehalten.“
Der Anblick der voll beladenen Tafel versetzte ihn in gute Laune. Auf großen Platten dampfte gebratener Ochse. Daneben gab es eingelegten Aal, gesottenen Hecht, Karpfen und Pasteten mit dem Besten vom Kaninchen und Geflügel, Kuchen, Zuckerwerk und kandierte Früchte. Große Karaffen mit Wein und kühles Bier standen auch bereit.
Die Deutschen sind wirklich für nichts so berühmt wie für Essen und Trinken, dachte Christian. Ochsen hören auf zu trinken, wenn sie nicht mehr durstig sind. Die Deutschen fangen dann erst an, stichelten die Franzosen oft gegen die deutsche Völlerei und ihre rustikalen Gepflogenheiten.
Mit ihrem Urteil lagen die Nachbarn ziemlich richtig, denn im Vergleich zu ihrem eigenen Land glich das geistige und gesellschaftliche Leben in Deutschland einem Jammertal. Große Männer mit Bildung und Kultur suchte man in den Städten und an den Höfen oft vergebens. Der sächsische Komponist Heinrich Schütz, der schlesische Dichter Martin Opitz oder der Augsburger Architekt Elias Holl bildeten Ausnahmen. Musik, Tanz und Dichtkunst kamen meist aus Italien über die Alpen ins Reich, Maler und ihre Bilder aus den Niederlanden, Romane und Moden aus Frankreich, Theaterstücke mitsamt den Schauspielern aus England.
Dennoch berichtete Christian bester Stimmung von seiner Begegnung mit der kleinen Wäscherin an der Beckerbrücke
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