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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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nicht die richtige Person. Statt Farkas zu suchen, war es zweifellos an der Zeit, mich selbst zu suchen.
    Nach langen Minuten der Benommenheit und mehr oder weniger entschlossen, es Lucie und Damien zu überlassen, wie der Skandal enthüllt werden sollte, riss ich mich zusammen und drehte mich um. Ich entfernte mich langsam, immer noch durcheinander, von der Place Beauvau.
    Ich musste schrecklich aussehen, denn die Passanten musterten mich misstrauisch. Dabei war ich einfach nur erschöpft. Es war, als ob meine ganze Energie der vergangenen Wochen nur dazu gedient hätte, mich bis zur Enthüllung dieser schrecklichen Wahrheit auf den Beinen zu halten, und als ob ich jetzt, am Ende des Weges oder zumindest nicht weit davon entfernt, nicht mehr die Kraft hatte, aufrecht zu stehen. Der ganze Druck fiel von mir ab, und statt die Enthüllungen der letzten Tage als die heißersehnte Befreiung zu empfinden, empfand ich sie als das Ende, als den Tod eines Teils von mir. Und es gelang mir nicht, die Angst vor der großen Leere zu überwinden, die sich im Hinblick auf ein neues Leben abzeichnete. Die Wahrheit vermittelte mir nicht nur ein Gefühl des Abscheus und der Ungerechtigkeit, sie verursachte mir ein schreckliches Schwindelgefühl und einen tiefen Eindruck des ungestillten Dursts. Was sollte ich jetzt tun? Wie sollte ich damit leben?
    In der Ferne entdeckte ich ein Taxi. Ich überquerte die Straße und hob den Arm, um es anzuhalten. Aber im selben Augenblick spürte ich eine Hand auf meinem Arm.
    Ich zuckte zusammen.
    Ein Mann im schwarzen Anzug stand vor mir. Er hatte kurzes Haar, ein ausdrucksloses Gesicht und musterte mich gleichmütig. Einen Moment lang glaubte ich, ich sei erledigt. Dass ich Monsieur Morrain folgen und einen lächerlichen Tod sterben würde. Ich war mir sicher, dass dieser Kerl ein Killer der Dermod war und dass er mich mitten auf der Straße kaltblütig niederschießen würde. Und seltsamerweise fand ich mich beinahe damit ab. Dieser Ausgang schien mir nicht schlimmer als jeder andere.
    Ich hielt den Atem an, als er die Hand in die Innentasche steckte. Die Wahrheit hatte mir keinerlei Trost gebracht, der Tod dagegen würde mir endlich Frieden bringen.
    Doch statt einer Waffe holte der Mann einen Briefumschlag hervor, reichte ihn mir, machte kehrt und trollte sich in Gegenrichtung.
    Ich stand sprachlos da. Dann senkte ich langsam den Blick und betrachtete das Papier. Darauf stand handgeschrieben: Vigo Ravel. Es war der Name, den ich einst getragen hatte.
    Mein Herz schlug zum Zerspringen. Das Geheimnis warf erneut seine Maschine an. Ich riss hastig den Umschlag auf und entdeckte eine kleine weiße Karte mit dem Briefkopf ›Der Innenminister‹. Darunter stand ein einziger Satz: »Heute Abend, 22 Uhr, Chanteclair , Fontainebleau.«
    Und die Unterschrift: Jean-Jacques Farkas.
83.
    Moleskin-Notizbuch,
Anmerkung Nr. 223: den anderen kennen
    Die Umstände erfordern es, hier meine Gedankengänge hinsichtlich der dringlichen Frage, die der Ursprung meiner eschatologischen Angst ist, zu überprüfen. Dabei geht es um meine Beziehung zu anderen.
    Lange Zeit habe ich geglaubt – und habe es tausendmal in meine Moleskin-Notizbücher eingetragen –, dass die Unfähigkeit zu kommunizieren der Grund für unser vermutliches Aussterben sein dürfte. Dass wir aussterben werden, weil wir es nicht verstanden haben, uns kennenzulernen, uns zu verstehen.
    Doch nun kommen mir Zweifel.
    Gewiss, meine Angst vor der Unfähigkeit zu kommunizieren ist die Angst, den anderen nicht richtig kennen zu können. Man hat nie Zugang zum Inneren des anderen, zu seinem Bewusstsein, sondern lediglich zu seinem äußeren Erscheinungsbild. Um den anderen kennenzulernen, bedienen wir uns im Allgemeinen der Analogie. Wir vermuten, dass die Beziehung zwischen unserem Körper und unserem Bewusstsein auch für den Körper des anderen gilt. Wir gestehen ihm ein Bewusstsein zu, das dem unseren gleichwertig ist. Kurzum, wir glauben, wir könnten den anderen durch Analogie kennenlernen.
    Ein Witz!
    Wenn man den anderen durch Analogie kennenlernt, heißt das dann, dass man ihn wirklich kennt? Wenn wir solche Überlegungen anstellen, machen wir dann nicht aus dem anderen ein bloßes Abbild von uns selbst (einen Spiegel?), indem wir nämlich sein Anderssein leugnen?
    Wollt ihr euch damit begnügen?
    Sartre gibt, sofern ich das Gelesene richtig verstanden habe, eine ganz andere Antwort. Ihm zufolge existiert unser Bewusstsein nur im Verhältnis

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