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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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seinem Anblick empfinden? Hass? Mitleid? Brauchte ich Gerechtigkeit oder Rache? Oder wollte ich einfach endlich ein Gesicht hinter dieser ganzen Maskerade sehen? Hatte ich das Bedürfnis, dem Blick unseres mörderischen Vaters standzuhalten, um mich seiner zu entledigen, zumindest symbolisch?
    Aber schließlich hatte er mich kommen lassen.
    Als die Tür geöffnet wurde, schlug mein Herz mit einem Mal höher. Unwillkürlich drang die Angst trotz meiner unbewussten Entschlossenheit bis in mein tiefstes Inneres.
    Ein junger Mann im dunklen Anzug, mit der Figur eines Boxers und einem steinernen Gesicht, tauchte in der Türöffnung auf. Er trug eine Art ultramodernen Kopfhörer, ziemlich breit, gespickt mit Dioden und kleinen Knöpfen und verlängert durch ein kleines Mikro am Ende eines Stifts.
    »Der Herr Minister erwartet Sie«, sagte er mit feierlicher Stimme.
    Er machte einen Schritt zur Seite und streckte den Arm aus, um mich hineinzubitten. Flüchtig sah ich das Pistolenhalfter auf seiner Brust. Ich blieb kurz auf dem Treppenabsatz stehen und warf einen Blick ins Innere. Die außergewöhnliche Situation machte mich befangen. Der Leibwächter – denn das war wohl seine Funktion – ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wartete, die Hand auf der Türklinke.
    Ich trat ein und wurde immer nervöser. Der athletisch gebaute junge Mann schloss die Tür hinter mir. Dann bat er mich, die Arme auszubreiten, und durchsuchte mich. Er fand lediglich mein Handy, das er ganz genau untersuchte und dann wieder in meine Tasche steckte.
    Dann ging er mir auf einer breiten Holztreppe voraus. Unsere Schritte hallten zwischen den hohen weißen Mauern wider. Wir stiegen in das Stockwerk hinauf, durchquerten einen langen düsteren Gang. Dann öffnete er eine Tür und bedeutete mir mit einer Handbewegung, einzutreten.
    Ich schaute mich in dem spärlich beleuchteten Zimmer um. Es war ein großes Büro, mit anmaßendem Prunk ausgestattet: holzgetäfelte Wände, glänzender Parkettboden. Links befand sich eine große Bibliothek, die von alten Büchern überquoll. Rechts standen eine elegante Vitrine und eine Kommode. Jagdszenen schmückten die Wände. In der Mitte des Raums befand sich ein luxuriöser schwarzer Tisch, Régencestil, darauf ein paar vergoldete Bronzefiguren. Auf dem Tisch lagen zahlreiche Akten. Auf beiden Seiten standen Polstersessel.
    Am anderen Ende des Zimmers blickte ein Mann vor einem breiten Fenster mit einem Glas in der Hand in den Garten hinaus. Seine Gelassenheit wirkte irgendwie lächerlich. Wie eine im Voraus entworfene Szene. Ergreifendes Schauspiel. Ein Theaterstück, in das man mich gewaltsam mit einbeziehen wollte. Aber ich fühlte mich wohler auf der Seite des Publikums.
    Der Leibwächter schloss die Tür hinter mir.
    »Vigo, setzen Sie sich.«
    Ich erkannte die raue, spröde Stimme des Ministers.
    Ich blieb regungslos stehen. Der Mann drehte sich um, trat an den Tisch und stellte sein Glas ab. Trotz seiner siebzig Jahre hielt er sich immer noch aufrecht wie ein Offizier. Er hatte eine Glatze und durchdringende blaue Augen. Seine Steilfalten verliehen ihm strenge Züge.
    Er schien sich über meine Sturheit zu amüsieren, setzte sich in den Sessel, vor dem ich stand, legte die Arme auf die Lehnen und schlug mit übertriebener Lässigkeit die Beine übereinander.
    »Bitte, setzen Sie sich.«
    In diesem Augenblick empfand ich dem alten Mann gegenüber einen Hass, der noch stärker war, als ich es mir hätte vorstellen können. Eine instinktive Aversion, fast wie angeboren.
    »Warum haben Sie mich hierherbestellt?«, stieß ich hervor, ohne die Verachtung, die in mir brodelte, zu verbergen.
    »Sie wollten mich sehen, Vigo.«
    »Ich heiße nicht Vigo.«
    Der Minister grinste breit.
    »Ziehen Sie Il Luppo vor?«
    »Ich ziehe überhaupt nichts vor.«
    »Dann setzen Sie sich doch«, wiederholte er. »Sie wollten mich sehen, also reden wir.«
    »Ich bin nicht zum Reden gekommen. Ich bin gekommen, um Ihr Gesicht zu sehen. Ich wollte das Gesicht eines Mannes Ihrer Sorte aus der Nähe sehen.«
    »Und? Gefalle ich Ihnen?«, fragte er mit einem aufgesetzten Lachen.
    Seine Arroganz ging mir auf die Nerven. Er hielt sich wohl für unangreifbar hinter seiner widerlichen Selbstgefälligkeit. Aber sein Lachen ließ mich kalt. Ich hatte im Grunde das bekommen, weshalb ich gekommen war. Das Objekt meiner tiefsten Verachtung.
    »Wie finden Sie mich?«, fragte er provozierend.
    »Alt.«
    Ich machte auf dem Absatz kehrt und

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