Das kostbare Opfer
verdrängte alle Gedanken an Annabelle. »Ach,
Sie«, knurrte ich verdrießlich. »Ich dachte, ich hätte gesagt, Sie sollten mich
anrufen, falls irgendwas Aufregendes passierte.«
»Leutnant«, sagte Polnik mit
gedämpfter Stimme. »Ich hielt es für besser, zu Ihnen zu kommen.«
»Was ist los?« fragte ich. »Ist
der Himmel eingestürzt?«
»So was Ähnliches«, sagte er
unglücklich. »Ich sitze in der Tinte, Leutnant.«
»Kommen Sie lieber rein und
erzählen Sie«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, daß ich es mir besser sitzend
anhöre.«
Er trat hinter mir ins
Wohnzimmer und setzte sich. Ich goß ihm ein Glas ein, das er dankbar annahm.
»Danke, Leutnant. Den kann ich bestimmt vertragen.« Er bestätigte es, indem er
das Glas auf einen geübten Zug leerte. Ich zuckte zusammen, dann goß ich noch
einmal nach. »Vielen Dank, Leutnant«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, wo ich mit
dem Erzählen anfangen soll.«
»Vielleicht von vorne«, schlug
ich vor. »Das ist eine gute Methode.«
»Okay.« Er seufzte tief. »Ich
warte also um halb sieben in der Hotelhalle, wie Sie mir gesagt haben. Die
Puppe kommt allein. Sie geht zum Empfang, und ich höre, wie der Portier zu ihr
sagt, >Jones< — das ist Blount — sei auf seinem Zimmer. Dann ruft er das
Zimmer an und sagt Jones, daß die Dame in der Halle wartet. Er legt auf, sagt
der Puppe, daß sie erwartet wird und hinauf in sein Zimmer gehen soll.«
Jeder Versuch, Polnik zu
veranlassen, sich auf das Wichtigste zu beschränken, wäre ein müßiges
Unterfangen gewesen. »Weiter«, sagte ich müde.
»Ich beobachte sie also, wie
sie zum Lift geht und stelle fest, daß er im dritten Stock stehen bleibt. Ich
überlege mir, daß es vielleicht besser ist, wenn ich auch in den dritten Stock
hinaufgehe. Ich nehme also den Lift und steige im dritten Stock aus. Der Gang
ist leer. Ich geh’ ihn entlang, und im nächsten Augenblick kriege ich einen
Schlag auf den Hinterkopf!«
»Und Sie wissen nicht, wer es
war?«
Polnik schüttelte den Kopf.
»Ich wünschte, ich wüßte es. Ich hab’ noch immer eine Beule und Kopfweh!« sagte
er ärgerlich. »Als ich wieder aufwache, liege ich im Lift. Es ist so einer zum
Selbstbedienen, und ich bin ganz allein. Dann bleibt er im neunten Stock
stehen, und eine alte Dame kommt rein. Sie sieht mich da bedöst auf dem Boden
hocken und hält mich, glaube ich, für betrunken.«
»Hat sie Ihnen nicht geholfen?«
Er lachte dumpf. »Das nächste,
was geschieht, ist, daß mich der Hoteldirektor, der Portier und zwei Hotelpagen
durch den Hintereingang rausschmeißen. Ich wischte mir den Staub ab und geh’
durch den Vordereingang wieder rein. Ich zeige dem Portier meine Marke und sage
ihm, daß ich diesen Jones sprechen möchte. Er ruft das Zimmer an, aber Jones
antwortet nicht. Ich hab’s dann dabei gelassen und bin zu Ihnen gekommen, um es
Ihnen zu erzählen.«
Ich zündete eine Zigarette an.
»So was kann jedem mal passieren. Es sieht ganz so aus, als hätte Malone sie
ins Hotel vorangehen lassen, um beobachten zu können, ob sie verfolgt wurde.
Als er merkte, daß Sie hinter ihr her waren, folgte er Ihnen in einem anderen
Lift in den dritten Stock und benutzte die erste beste Gelegenheit, um Sie
niederzuschlagen und in den leeren Lift zu stopfen.«
Ich griff nach dem Telefonbuch,
suchte die Nummer des Plaza heraus und wählte. Ich verlangte Mr. Edgar
Jones, und der Portier sagte mir, es täte ihm leid, aber Mr. Jones wäre vor
zehn Minuten abgereist.
Als ich ihm das berichtete,
machte Polnik ein noch viel niedergeschlageneres Gesicht. »Sieht so aus, als
hätte ich das alles gründlich versaut!« krächzte er.
»Sie hätten es doch nicht
ändern können«, tröstete ich ihn. Dann griff ich wieder zum Telefon und wählte
die Privatnummer von Cole. Ich dachte, Cole würde mir sagen können, ob Edna
Edgar Blount gefunden hatte. Natalie Coles Stimme meldete sich.
»Leutnant Wheeler, Mrs. Cole«,
sagte ich vorsichtig. »Kann ich bitte Ihren Gatten sprechen?«
»Al, Liebling!« sagte sie
begeistert. »Wie schön, deine Stimme wiederzuhören. Ich werde schon ganz
schwach. Klingt das nicht ermutigend?«
»Nicht so laut.« Ich fuhr
zusammen. »Sonst hört er dich.«
»Doch nicht mein häuslicher
Laurence!« sagte sie scharf. »Er ist heute nacht wieder mal weg, wie üblich.
Warum kommst du nicht gleich rüber, Liebling? Ich sitze schon den ganzen Tag
herum und denke darüber nach, wie schade es ist, daß du nicht bei mir bist. Ich
fange
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