Das Krähenweib
später wird er es merken.«
»Und was gedenkst du, nun zu tun?« Johann sprang auf und aus Angst, er könnte ihn am Kragen packen, wich Schrader ein Stück zurück. »Willst du mich bei ihm anschwärzen?«
Schrader kniff die Lippen zusammen, dann blickte er ihn beinahe flehend an. »Ich verlange, dass du mich einweihst.«
Johann glaubte nicht, was er da hörte. »Ich soll dich einweihen?« Bisher hatte Schrader immer auf der Seite des Meisters gestanden und das Goldmachen verteufelt. Und jetzt dieser Umschwung?
»Ja, ich will dabei sein, wenn es dir gelingt, Gold zu machen!«
»Aber wie stellst du dir das vor? Du hast doch bisher nichts dafür übriggehabt.«
»Trotzdem will ich eingeweiht werden«, entgegnete Schrader hartnäckig. »Außerdem können zwei Menschen ein Geheimnis besser verbergen als nur einer. Sobald es dir gelingt, Gold zu machen, will ich, dass du es mir zeigst. Dafür ermögliche ich dir, heimlich im Laboratorium zu arbeiten, und wenn es sein muss, beseitige ich auch die Spuren.«
Böttger atmete tief durch. Es war nichts Unmögliches, was sein Freund da verlangte. Und eigentlich hätte er ihn schon längst ins Vertrauen ziehen sollen. Aber etwas hatte ihn davon abgehalten, und dieses Etwas hinderte ihn auch jetzt daran, sofort zuzustimmen. Schrader war dem Prinzipal noch stärker verbunden als er selbst. Nicht, dass er ihn für einen Verräter hielt, doch wenn Zorn ihn in die Zange nahm und sich dabei auf seinen Vater berief, würde Schrader sicher weich werden und alles beichten. Das würde Johanns und vermutlich auch Schraders Rauswurf bedeuten. Aber wenn er sich nicht darauf einließ, könnte Schrader jederzeit zum Prinzipal laufen und seine Stelle und seine Forschungen wären damit auch passé …
»Würdest du mir im Gegenzug schwören, dass du Zorn nichts sagst, komme was wolle?«, fragte er, worauf sich Schrader sichtlich entspannte. Es war offenbar doch nicht Entschlossenheit, die seine Miene verzerrt hatte, sondern die bange Erwartung einer Tracht Prügel, die Böttger ihm für seine Drohung verabreichen könnte.
»Das würde ich dir sogar mit meinem Blut versprechen! Nur belüg mich nicht wieder.« Das klang ein wenig dramatisch, aber immerhin ehrlich.
»Also gut, sobald ich weiß, wie man es macht, werde ich dich einweihen. Das wird allerdings hinfällig, wenn Zorn Lunte riecht.«
Schrader nickte, und nachdem sie sich die Hände gereicht hatten, verschwand er wieder aus der Kammer.
Johann sah ihm nach und brach dann Kunckels Siegel. Auf dem Papier stand genau das, was er vermutet hatte. Und es würde ihm eine Freude sein, seine Fragen zu beantworten und zu berichten, wie nahe er dem Ziel war.
Als die Sonne über dem Kontor aufging, sah alles aus wie immer. Der Regen war in der Nacht davongezogen und nur ein paar rote Morgenwolken zierten den Horizont. Die verbliebenen Regentropfen glitzerten an der Fensterscheibe.
Irgendetwas wirkte auf Annalena trotzdem anders, als sie sich von ihrem Lager erhob. Sie konnte es nicht benennen, es war nur ein Gefühl, aber immerhin so stark, dass es ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend verursachte.
Sie erhob sich, wusch und kleidete sich an, dann verließ sie das Zimmer. Hinter Marlies’ Tür war alles still. Entweder war sie bereits auf den Beinen und kotzte sich in der Latrine die Seele aus dem Leib oder sie lag noch immer schlafend auf ihrem Strohsack. Ob sie ihren Rat mit der Knoblauchzehe befolgt hatte? Seit dem Abendessen hatte sie sie nicht mehr zu Gesicht bekommen und sie hatte auch nicht nachgeprüft, ob eine Knolle von dem Zopf neben dem Fenster verschwunden war.
Als Annalena in die Küche trat, sah sie Hildegard vor der Esse. Sie reckte ihren massigen Hintern nach oben und pustete mit voller Kraft in die kleine Flamme, die sich hartnäckig weigerte, größer zu werden. Annalena wusste, dass es nichts brachte, Hildegard den Blasebalg zu bringen, denn sie vertrat die Ansicht, dass das Herdfeuer nur dann vernünftig und lange brannte, wenn sie ihm ihren eigenen »Odem« eingeblasen hatte.
»Marlies?«, fragte sie, als sie in einer kurzen Pause zum Luftholen die Anwesenheit einer weiteren Person in der Küche bemerkte.
»Nein, ich bin’s«, antwortete Annalena und griff sogleich nach dem Wassereimer, den Hildegard wohl für die Erstbeste, die die Treppe herunterkam, bereitgestellt hatte.
»Wo steckt Marlies?« Sie ließ vom Feuer ab und wandte sich um, als wollte sie sich vergewissern, ob Marlies nicht nur die
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