Das Krähenweib
seit der Sache mit Marlies, aber vielleicht lässt sie dich für eine Stunde gehen?«
»Das wird sich einrichten lassen. Hildegard hat ihre Sinne momentan sowieso nicht so beisammen, wie sie es eigentlich sollte. Der Tod von Marlies setzt ihr immer noch ziemlich zu. Wenn ich Glück habe, bemerkt sie mein Fehlen gar nicht.«
»Du solltest ihr besser Bescheid sagen, sonst lässt sie die gesamte Spree nach dir abfischen.« Johann bemerkte seine Verfehlung fast sofort und verfluchte sich, weil er manchmal sprach, bevor er nachdachte. »Verzeih, ich wollte nicht …«
Annalena legte ihm den Finger auf die Lippen. »Schon gut. Aber sprich besser nicht davon. Tag für Tag werde ich hier an das Geschehen erinnert, an alles, was damit zusammenhängt. Ich will diese Bilder nicht im Kopf haben. Nicht, wenn du bei mir bist.«
Johann nahm ihre Hand und küsste sie, dann streichelte er ihre Wange. »Keine Sorge, ich werde es nicht mehr erwähnen. Du bist viel schöner, wenn du lächelst, wie kann ich dich da traurig machen?«
Bei diesen Worten konnte Annalena nur lächeln, und die beiden versanken für einen Moment in den Blicken des anderen.
»Wie war es bei deinem Freund?«, fragte sie schließlich, denn sie fürchtete, dass Thomas aus dem Stall kommen und sie sehen könnte. Ein unverfängliches Gespräch konnte sie nicht belasten, wohl aber verliebte Blicke und Küsse.
Johann atmete tief durch. Annalena spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, und fragte sich, ob er sie ins Vertrauen ziehen würde.
»Mein Freund kämpft mit seiner Gesundheit und überlegt, ins Sächsische zurückzukehren.«
»Habt ihr denn Versuche machen können?«
Jetzt lächelte Johann wieder. »Du sprichst beinahe wie die Braut eines Alchemisten.«
Bin ich das denn nicht?, hätte Annalena am liebsten gefragt, doch sie behielt die Worte für sich.
»Ja, wir haben Versuche durchgeführt. Und sie waren ebenso erfolgreich wie der, den du im Keller gesehen hast. Allerdings …«
Er stockte plötzlich und senkte den Kopf, als wollte er nicht, dass Annalena ihn ansah. Als wollte er nicht, dass sie etwas von seinen Zügen las, was nicht für sie bestimmt war.
»Was soll das, warum stehst du am Fenster und schwatzt?«, keifte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Offenbar hatte Johann bemerkt, dass Hildegard die Küche betreten hatte und sich deshalb unterbrochen. Annalena wirbelte herum und blickte Hildegard an. In ihren Augen konnte sie nicht nur Missbilligung sehen, sondern auch Sorge.
»Verzeiht, ich wollte nur wissen, ob der Herr Röber im Haus ist«, rechtfertigte Johann die Situation.
»Und warum gehst du dann nicht vorne herum? Soweit ich weiß, ist die Tür nicht verschlossen.«
»Das mag sein, aber es ist nicht in meinem Interesse, von jedermann gesehen zu werden. Das Anliegen, das ich habe, ist von größter Wichtigkeit und sollte ganz diskret behandelt werden.«
Hildegard betrachtete Johann skeptisch, dann bedeutete sie Annalena, die Tür zu öffnen. »Gut, meinetwegen komm herein, der Herr ist im Kontor. Aber wenn du das nächste Mal über den Hinterhof kommst, halte die Magd nicht auf, hast du verstanden?«
»Das habe ich, Madame.« Johann deutete eine galante Verbeugung an, und nachdem er Annalena kurz zugezwinkert hatte, eilte er durch die Küche in den Verkaufsraum.
Annalena rechnete damit, dass er das Haus durch den Vordereingang gleich wieder verlassen würde, weil er sich den Besuch bei Röber nur ausgedacht hatte, um sie zu schützen. Doch als sie kein Läuten der Türglocke vernahm, wusste sie, dass er hiergeblieben war. Und dass er Hildegard nicht belogen hatte.
Johann stand mit klopfendem Herzen vor der Tür des Kabinetts. Von drinnen konnte er Stimmen hören, aber bisher hatte niemand seine Ankunft bemerkt.
Noch kannst du umkehren, sagte er sich. Doch er wusste, dass er dann seine Forschungen nicht mehr lange betreiben könnte. Um neues Arkanum herzustellen, brauchte er Rohstoffe, die ziemlich teuer waren. Die geliehenen Taler waren verschwunden, wahrscheinlich als Wein in Sieberts Schlund. Doch das verbliebene Geld hätte ohnehin nicht ausgereicht. Schließlich fasste er sich ein Herz und klopfte an. Das Gespräch, auf dessen Inhalt er nicht geachtet hatte, wurde sogleich unterbrochen, und nur wenige Augenblicke später erschien das Gesicht von Röbers Gehilfen im Türgeviert.
Der Bursche war etwa im gleichen Alter wie er, doch die Tatsache, dass er beim Gewürzkrämer Röber arbeitete, ließ ihn den Kopf so hoch
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