Das Krähenweib
obwohl Johann vorhatte, ins Laboratorium zu gehen, wollte er doch in dieser Nacht auf Schraders wachsame Augen verzichten.
Denn heute war es nicht das Gold, das ihn in den Keller trieb. Es war das Arkanum. Er hatte das Rezept von Lascarius gründlich studiert und wieder und wieder überprüft. Mittlerweile hatte es sich so fest in seinen Verstand eingebrannt, dass er nicht einmal mehr den Zettel brauchte.
Im Keller angekommen entzündete er zunächst eine Kerze, dann eine Öllampe. Die Flammen mühten sich rußend, die Herrschaft über die Dunkelheit zu erringen. Als er genug Licht hatte, entfachte Johann ein Feuer im Ofen und begann, die Zutaten für seinen Versuch auf dem Tisch anzuordnen.
Den ganzen Abend über hatte er Berlin und auch Cölln nach den letzten dieser Stoffe durchkämmt und die Sachen heimlich in sein Zimmer gebracht. Er hätte sie auch in den Keller schaffen können, doch das war ihm zu riskant gewesen. Seit seine beiden Lehrjungen die wichtigsten Tinkturen herstellen konnten, war Zorn zwar nur noch selten hier unten, doch manchmal gab es dumme Zufälle, und Opfer eines solchen wollte er nicht werden.
Nachdem er sämtliche Tinkturen, Granulate und andere Zutaten aufgestellt hatte, schaute er nach dem Feuer. Flammenzungen schnellten aus der Herdöffnung, sobald er die Klappe öffnete, und ein Blick genügte ihm, um zu wissen, dass das Feuer die rechte Temperatur erreicht hatte.
Mit zitternden Händen begann er, die Zutaten abzuwiegen: Aqua regis, Salpetersäure, Zinnsalz und andere. Peinlich genau war er dabei, als würde er ein Medikament herstellen, das tödlich wirken konnte, wenn nur eine Zutat zu viel oder zu wenig darin enthalten war. Nacheinander gab er die Ingredienzien in einen großen Kolben, vermischte sie und stellte sie schließlich auf das Feuer. Nun sollte es laut Rezept nicht mehr lange dauern, bis sich die roten Kristalle absetzen würden.
Johann starrte so gespannt auf den Kolben und die Flüssigkeit darin, dass er nichts anderes mehr wahrnahm. Gerade als sich die Kristalle tatsächlich senkten und Böttger darüber in leisen Jubel ausbrach, flog die Tür auf.
»Was in Gottes Namen tust du da?«, hallte Zorns Stimme durch das Laboratorium.
Johann wirbelte herum. »Ich wollte nur …« Er stockte, als ihm klarwurde, dass die Phiole mit dem alten Arkanum noch immer auf dem Tisch lag. Und dass Zorn sie sehen konnte. Johann müsste nur ein paar Schritte nach vorn machen und die Phiole an sich nehmen. Doch in diesem Augenblick kam Zorn die Treppe ganz hinunter und trat an den Tisch.
Johann war es, als würde ihn ein Messerstich treffen, als sich die Hand seines Meisters um die Phiole mit den rot schimmernden Kristallen schloss. Der Apotheker betrachtete sie einen Moment lang, dann richtete er seinen Blick auf Johann. Die Haut um Zorns Hakennase war beinahe weiß wie Schnee, das konnte er selbst im Feuerschein des Ofens sehen. Johann war sich sicher, dass er nun Zeuge eines der seltenen Wutausbrüche seines Meisters werden würde.
»Was ist das?«, fragte Zorn und streckte ihm das Glasgefäß entgegen.
Johann rang einen Moment lang mit sich, dann antwortete er wahrheitsgemäß: »Das ist der Stein der Weisen, Meister.«
»Der Stein der Weisen? Du hast also wieder mit diesem Unsinn angefangen? Obwohl du mir versprochen hast, die Finger davon zu lassen?«
»Ich habe einen Mann getroffen, der das Arkanum tatsächlich herstellen kann. Er hat mir beigebracht, Gold zu machen.« Johann reckte sich. Zorn würde ihn gewiss entlassen, aber vielleicht konnte er sein Schicksal durch eine Flucht nach vorn noch einmal wenden.
»Und was hat dir diese Goldmacherei gebracht? Wo sind denn die goldenen Berge, wo die Güter, die du dir davon leisten kannst?«
»Goldene Berge erfordern erst unedle Berge«, entgegnete er mit fester Stimme. »Ich kann Metalle nur wandeln, nicht Gold aus dem Nichts erstehen lassen.« Johann griff in seine Tasche und holte den goldenen Regulus hervor. »Hier, seht, dieses Gold habe ich vor etwa zwei Monaten gemacht.«
Er legte dem Prinzipal das Metallstück auf die Hand. »Dies ist künstliches Gold, das bezeuge ich vor Gott!«
Zorn betrachtete es eingehend. Die Falte zwischen seinen Augen vertiefte sich dabei. »Woher soll ich wissen, dass dies echtes Gold ist?«
»Ihr könnt damit eine Senkprobe in Quecksilber durchführen, es wird sie bestehen. Und wenn Ihr wollt, kann ich Euch vorführen, wie ich Blei oder andere unedle Metalle in Gold
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