Das Kreuz der Kinder
in ihrem
Rücken plötzlich die Silhouetten der gefürchteten
normannischen Langboote. Noch war der stattliche
Verband weit genug entfernt und schien die Piraten
entweder noch nicht gesichtet zu haben oder nicht
sonderlich an ihrem Treiben interessiert zu sein. Dennoch
wollte keiner einen Zusammenstoß riskieren. Der
geprügelte Luc war wieder an Deck gezerrt worden und
schlüpfte sogleich wieder in seine Rolle als Sklaventreiber. »Diese Ratte hatte mich, ihren Herrn«, zeterte er,
»ermorden wollen, als wenn sie damit ihrem verdienten
Schicksal –.«
Der ›Eiserne Hugo‹ bereitete dem Treiben des
klitschnassen Vicarius ein Ende. Er griff ihn am Genick
und beutelte ihn wie einen jungen Hund. »Die Kirche mag
Euch zu Dank verpflichtet sein für den geistigen Beistand,
den Ihr Euren Leidensgenossen widerfahren laßt.«
Hugo öffnete mit der anderen Hand den Käfig – »Da es
aber keineswegs in ihrem Interesse liegt«, er erinnerte sich
jetzt der Warnung des Inquisitors, »daß Ihr Euren Lohn im
christlichen Abendland einfordert«, beschloß er sein Tun,
das er damit enden ließ, daß er den Vicarius mit einem
Fußtritt in den Stall beförderte, »sollt auch Ihr es nicht
wiedersehen! Inch’allah!«
Er schob den Riegel vor und wischte sich die Pranken.
Inzwischen hatte ›Guillem das Schwein‹ hastig bei den
Anführern der Sarazenen den vereinbarten Kaufpreis
kassiert. Die Piratenflotte segelte mit ihrer Beute davon,
der nahen maurischen Küste entgegen. Hugo und Guillem
bemannten zwei Ruderboote und setzten sich eiligst zum
Felsenufer Siziliens ab.
Das Aufgebot der Normannen war gemächlich an der
›Unglücksstätte‹ angelangt. Sie bildeten das Ehrengeleit
für den Wesir des Sultans, der in Palermo König Friedrich
seine Aufwartung machen wollte, den jungen Monarchen
aber nicht angetroffen hatte. Die verbliebenen leeren
Schiffe der beiden tüchtigen Händler werden aufgebracht.
Ohnmächtig und aus einer üblen Kopfwunde blutend, an
das Steuerruder der einzigen Müllbarke geklammert, wird
Pol von den normannischen Langbooten entdeckt und aus
dem Wasser geborgen. Die Sizilianer sind sich sofort
einig, daß er dringend ärztlicher Behandlung bedarf, so
lassen sie ihn sofort an Land bringen. Die auf den
Marseiller Schiffen noch aufgegriffenen Mitglieder der
Mannschaft werden kurzerhand an den Masten
aufgeknüpft, bevor die Prise in den nächsten Hafen der
Insel abgeschleppt wird.
Den unvorhergesehenen Aufenthalt nahm die Eskorte
zum Anlaß, sich von dem Wesir zu verabschieden, der
seine Reise nun in maurischen Gewässern fortsetzte. Seine
ägyptischen Bootsleute hatten schon zuvor unbemerkt
Melusine aus dem Wasser gefischt und auf Geheiß ihres
Herrn an Bord genommen. Sie hielten das auf dem Rücken
treibende Mädchen erst für tot, dann für eine
Meerjungfrau, als Melusine plötzlich auf das
ausgeworfene Seil zuschoß und ohne ihre Hilfe das Deck
des Prunkseglers erklomm. Daß ihr dabei die Tränen
herunterrannen, rührte den greisen, aber noch recht
rüstigen Wesir. Daß sie dazu noch leidlich arabisch sprach
und sich als Cousine des Königs ausgab, die von Piraten
überfallen worden sei, nahm ihn vollends für sie ein und
ersparte der Ahnungslosen das übliche Haremsschicksal.
Der alte Herr bot Melusine sofort an, sie an Land zu
bringen – noch sind sie in Sichtweite Siziliens, doch die
Schöne aus dem Meer erstaunt den Würdenträger um ein
weiteres Mal, als sie Jerusalem als Ziel ihrer Reise angibt
und gern bis dahin seine Gastfreundschaft in Anspruch
nehmen möchte. Diese Aussicht begeistert den Wesir;
Melusine de Cailhac wird also sein Ehrengast an Bord,
wenngleich er sich nicht im geringsten schlüssig ist, was
mit ihr anzufangen. Ihm genügt es erst mal vollauf, daß sie
ihn anstrahlt aus ihren Augen wie Sterne, denn Melusine
weinte nur des Nachts bitterlich in ihre Damastkissen,
wenn sie allein in ihrem Zelt lag. So sicher sie sich war,
daß ihr blonder Ritter sie vergessen hatte, so gewiß war sie
sich nun auch, daß Pol nicht mehr unter den Lebenden
weilte und sie jetzt völlig allein auf dieser Welt stand, sie
also ihrem jungen Leben einen neuen Sinn geben müßte.
»Damit wollte ich eigentlich mein ›Wunder von Marseille‹
ausklingen lassen«, sagte Alekos mit belegter Stimme.
»Die Hoffnung und der unbesiegbare Mut zum Leben
eines jungen Mädchens schienen mir damals der passende
Abschluß eines so fatalen Unternehmens, wie ich es
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