Das Kreuz des Zitronenkraemers
hatte sie bei Dr. Mezza gelernt. „Warum guckst du denn so geheimnisvoll, was meinst du damit?“ Michael hing an Annes Lippen. „Ich meine damit, er hat nicht lange genug gesucht. Ich, ja ich, habe mittlerweile gefunden, worauf er aus war.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und machte sich auf den Heimweg. Michael ließ sie vor dem Spielcasino einfach stehen. „So mein Junge“, sprach sie leise vor sich hin, „ich habe die Pokerrunde eröffnet, jetzt bist du am Zug, mal sehen, was du machst.“
„Anne, warte doch mal!“, hörte sie ihn hinter sich her rufen. „Ich muss dir unbedingt noch was zeigen, vielleicht ist es wichtig!“ Anne tat so, als hörte sie nichts und wanderte schnellen Schrittes die Karl-Marx-Straße hinauf und erreichte das Eckhaus, in dem sie wohnte, nach wenigen Minuten. Unter dem überdachten Eingang zur Apotheke, der zur anderen Seite in der Johannis-Straße mündete, blieb sie hinter einer Ecksäule stehen. Dort nahm sie ihre Sonnenbrille aus der Handtasche und setzte sie auf. Das ist doch lächerlich, dachte Anne und packte die Brille geradewegs wieder weg. In diesem Moment sah sie ihn. Michael wartete am Fußgängerüberweg Richtung Fußgängerzone inmitten eines Pulks von Chinesen, jeder mit einer Kamera bewaffnet, auf grünes Licht. Trier war offensichtlich für Chinesen ein beliebtes Ausflugsziel in Europa, immer häufiger waren die Asiaten zu sehen. Sie bevölkerten täglich in Scharen das Karl-Marx-Haus in Annes direkter Nachbarschaft. Anne selbst hatte das Geburtshaus von Karl Marx noch nie besichtigt. In diesem Moment drehte Michael sich um und blickte in ihre Richtung. Anne trat blitzschnell einen Schritt zurück und verschanzte sich hinter der Säule. Sie setzte ihre Sonnenbrille nun doch wieder auf und wartete. Endlich wagte sie einen Blick und schielte an der Mauer vorbei. Die Chinesen watschelten in ihrer Gruppe gerade über die Straße. Anne suchte den Pulk mit den Augen ab. Michael war nicht dabei. Sie hielt die Luft an. Er stand keine zwei Meter von ihr entfernt an der Straßenecke und schaute nach oben. Auf ihr Haus. In Gedanken folgte Anne seiner Blickrichtung. Er konnte nur eins betrachten. Das Carovewappen an der Außenfassade.
„Frau Seifert?“ „Was?“ Anne fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Der Apotheker sah sie verwundert an. „Was treiben Sie denn da?“ „Pscht … “ Anne drückte den Mann mit beiden Händen zurück durch die Eingangstür. „Was ist denn nur los, brauchen Sie Hilfe?“ Der Apotheker war über Annes offensichtlichen Geisteszustand ernsthaft besorgt. „Nein, Quatsch“, Anne kam sich als ertappter Spion dämlich vor, „ich habe nur, also, ich habe nur jemanden beobachtet.“ Wirklich zu beruhigen schien dies den Apotheker nicht. „Ähm, wissen Sie, Frau Seifert, eigentlich haben wir ja noch Mittagspause, aber wenn Sie irgendetwas benötigen. “
„Nein danke, ich brauche nichts, entschuldigen Sie bitte, aber ich muss wieder.“ Anne wurde langsam ungeduldig, Michael war wahrscheinlich längst über alle Berge. „Meinen Sie diesen jungen Mann?“ Der Apotheker sah an Anne vorbei durch seine gläserne Eingangstür. Anne drehte sich um. Draußen stand Michael und sah sie an. Dann machte er kehrt und verschwand in einem neuen Haufen Touristen. „Ja“, seufzte Anne, „genau den meine ich.“ Sie musste sich eine Ausrede einfallen lassen. „Ich glaube, der stellt mir nach.“ Der Apotheker kratzte sich das Kinn: „Da könnten Sie Recht haben.“ „Wieso meinen Sie?“, wollte Anne aufgeregt wissen.
„Diesen Typ habe ich schon öfter hier herumschleichen sehen. Er war sogar einmal hier im Laden, hat aber nichts gekauft, kam mir merkwürdig vor. Frau Seifert, Sie sollten was unternehmen, ich glaube Sie haben einen, wie nennt man die noch gleich, genau, einen Stalker.“
Anne sprintete das Treppenhaus hoch. Sie musste Jutta erreichen, bevor Michael in die Bibliothek zurückkehrte. In ihrer Wohnung lächelte sie Herrn Schmitz und Tom kurz zu, die bereits dabei waren, die neuen Kacheln anzubringen. Anne hatte leider gar keine Zeit, ihre Arbeit zu würdigen, aber es wurde bereits jetzt schon deutlich, dass ihr Kamin ein wahres Meisterstück werden würde.
Sie zog sich ins Schlafzimmer zurück und verschloss die Tür. Anne ließ ihr Handy Juttas Nummer wählen und wartete. Es dauerte nicht lange. „Anne, hallo, gibt’s was Neues oder warum rufst du mich auf der Arbeit an?“ Jutta sprach ganz
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