Das Kreuz des Zitronenkraemers
verleiten lassen. Heute würde sie nach Hause fahren und in ihrer Wohnung übernachten. Aber eigentlich wollte sie auch bei ihm bleiben. Anne hielt den Kopf unter die Dusche und hoffte, das Wasser würde all ihre verwirrenden Gedanken mit fortspülen.
Das alles nur wegen dieser verdammte Situation. Alles war zurzeit nur Ausnahme. Diese unglaubliche Geschichte von Mord, Entführung, Einbruch. Der Anschlag auf Hannes. Die verzweifelte Claire. Andreas irgendwo da draußen. Und sie und Hannes mittendrin statt nur dabei.
Kein Wunder, dass sie alle nicht mehr wussten, was sie denken und fühlen sollten.
Anne stellte das Wasser ab. Sie hörte Geräusche in der Küche. Wahrscheinlich bereitete Hannes Frühstück vor. Wie gestern Morgen. Paula kratzte mittlerweile von außen an der Badtür. Anne besah sich im Spiegel. Sie hatte dunkle Ringe um die Augen und sah so mies aus, wie sie sich fühlte. „Wir müssen reden, Hannes Harenberg“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und setzte dabei einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf.
Sie schlüpfte in Hannes Bademantel, begrüßte die erfreute Paula an der Tür und zog mit der Hündin im Schlepptau weiter in die Küche. Hannes stand vorm Herd und briet Schinken mit Ei. Er hatte ihr Eintreten noch nicht bemerkt. Anne sah ihn an und wollte nicht wahrhaben, dass ihr Herz ein paar Stolperer hinlegte. Hoffentlich meldete sich dieser verdammte Entführer heute bei Claire. Erst wenn diese unsägliche Geschichte vorbei sein würde, konnten Hannes und sie wieder wie vernünftige Menschen reagieren. Dann würde sich rausstellen, wie es zwischen ihnen weiter gehen sollte. Aber bis dahin sollten sie keinerlei Entscheidungen treffen. Sie musste mit ihm reden. Heute noch.
Anne räusperte sich. Hannes drehte sich erschrocken um. „Oh, Guten Morgen, ich hab dich gar nicht reinkommen hören.“ Er sah genauso beschissen aus, wie Anne selbst. „Guten Morgen. Hast du auch so toll geschlafen?“, fragte sie leise und ließ sich an den wunderschön gedeckten Frühstückstisch sinken.
Verlegen drehte Hannes sich um und machte sich am Herd zu schaffen. Er spürte ihren Blick in seinem Rücken. Verdammt. So konnte es nicht weitergehen. Er konnte es einfach nicht mehr aushalten. Die ganze Nacht hatte er kein Auge zugetan. Nur weil er wusste, dass sie ein paar Zimmer weiter schläft. Mit ihm in seinem Haus. Anne wirkte in letzter Zeit so verletzlich. Ganz anders als sonst. Anne war immer stark und selbstbewusst. Jetzt war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die derzeitige Situation schien sie mehr als mitzunehmen. Und wie sie ihn manchmal ansah, er konnte es nicht mehr ertragen.
Mit zitternden Händen hob Hannes die Rühreier aus der Pfanne. Die Platte stellte er auf den ansonsten fertig gedeckten Tisch und setzte sich ihr gegenüber. Anne hatte in der Zwischenzeit Kaffee ausgeschenkt. Er reichte ihr die Milch. „Danke“, hauchte sie und schaute auf ihren Teller.
Er musste mit ihr reden. Wahrscheinlich war sie zurzeit nur so, weil sie so ausgelaugt war. Dies alles war zuviel für sie. Und in solchen besonderen Lebenssituationen reagieren Menschen eben oft mit emotionalen Überreaktionen.
Sie hatte ihn verlassen. Vor mehr als einem halben Jahr. Sie hatte sich bewusst und wohlüberlegt dazu entschieden. Und Anne stand zu ihren Entscheidungen. Auch wenn Hannes nach außen so getan hatte, richtig überwunden hatte er sie nie. Eine Zeitlang hatte er es sich selber eingeredet, dass es ihm gut geht, dass es besser so ist, dass sie nicht zusammen passten … alles Blödsinn, schoss es Hannes durch den Kopf. Er strich sich Marmelade auf’s Brötchen. Er wollte nichts mehr, als sie zurückhaben. Aber er durfte auf keinen Fall die Situation ausnutzen. Was, wenn sie sich jetzt wieder auf ihn einlassen würde? Noch mal würde er das nicht durchstehen. Wenn der Alltag erst wieder eingekehrt wäre und Anne dann wieder „normal“ denken und fühlen würde. Wenn sie ihn dann wieder verlassen würde. Nein, noch mal würde er eine Trennung nicht durchstehen. Er musste mit ihr reden.
Hannes holte tief Luft „Anne …“, verdutzt brach er ab, sie hatte im selben Moment aufgeblickt und „Hannes…“ gesagt. Sie sahen sich beide an und lachten verlegen. Dann wurde sie wieder ganz ernst und auch Hannes stellte sein dämliches Grinsen ein. „Wir müssen mal reden.“
„Ja, ich weiß.“ Hannes krächzte wie ein Frosch. „Wollte ich auch gerade vorschlagen.“
Sie redeten. Über sich. Anne war der
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