Das Kreuz des Zitronenkraemers
auf Annes Sofa bequem. Ging ja jetzt alles ein bisschen plötzlich. Aber die Bettstatt war gar nicht schlecht, alles roch nach Anne. Eigentlich war Hannes auch sehr müde. Das gute Essen, der Wein, die Aufregungen der letzten Tage. Er zog seine Klamotten einfach aus und kuschelte sich in das weiche Kissen, überglücklich von der stinkenden Matratze des Knasts befreit zu sein. Hoffentlich passierte ihm so was nie wieder!
Anne putzte sich die Zähne und zog ihren Lieblingsschlafanzug an. Als sie aus dem Bad kam, war Hannes bereits eingeschlafen. Er schnarchte leise und zufrieden vor sich hin. Seine Kleidung lag neben der Couch auf dem Boden verstreut. Typisch Hannes, dachte sie und legte die Sachen sorgsam über die Sessellehne.
Leicht besäuselt vom Rotwein streichelte Anne ein paar Haare aus Hannes Stirn und küsste ihn zart. „Schlaf gut“, flüsterte sie.
*
Der erste Morgen in Freiheit! Fröhlich fuhr Hannes mit Paula auf dem Beifahrersitz aus der Großstadt hinaus. Ob Anne wohl einen Brummschädel hat? Hannes hätte sich ja gern noch von ihr verabschiedet aber aus dem Schlafzimmer war heute Morgen außer Paula noch kein Mucks herausgekommen. Auch er verspürte ein leichtes „Hirn in Weinsoße“ Gefühl. Wahrscheinlich hatte er sich wegen des vielen Weins gestern Nacht solche Sorgen wegen dieser Anrufe bei Anne gemacht. Heute Morgen sah die Welt schon wieder viel einfacher aus. Sicher hatte Anne Recht und es waren nur ein paar Dummköpfe, die sich einen Spaß draus machten, andere Leute am Telefon zu nerven. So was hat doch fast jeder schon mal mitgemacht.
Hannes huschte schnell über die Autobahn bis nach Schweich und wählte dann den Promilleweg durch den Wald Richtung Bekond. So konnte Paula die letzten zwei Kilometer am Auto entlang laufen. Anne hätte sich darüber wieder fürchterlich aufgeregt, aber Paula liebte diesen Sport, für den Herrchen meist zu faul war. Hannes nahm den roten Landwirtschaftsweg hinter dem Schloss und erreichte so schließlich sein Haus. Nachbar Willi arbeitete natürlich bereits in seinem liebevoll gehegten Gemüsegarten. Wahrscheinlich sammelte er gerade seinen Todfeind Nr. 1, die Gemeine Wegschnecke, ein. „Hallo Hannes!“, rief er mit unsicherem Blick, „Sag mal, stimmt das, was die Leute erzählen? Warst du wirklich im Knast?“
Hannes mochte Willi, er war immer so direkt!
„Ja, man sollte ja alles im Leben mal mitgemacht haben! Zum Glück haben sie schnell festgestellt, dass ich nicht das Geringste mit diesem Mord zu tun habe! Ich erzähl dir später alles in Ruhe, muss nämlich jetzt der Polizei bei der Spurensuche behilflich sein!“ Mit diesen Worten drehte Hannes sich um und lief ins Haus. Bereits zehn Minuten später war er frisch umgezogen auf dem Weg ins Revier. Paula hatte er in den Zwinger verfrachtet, sie war nach ihrem Spurt am Auto ziemlich platt, außerdem vertrug sie sich nicht wirklich gut mit anderen Hündinnen. Als Hannes am Sportplatz vorbei fuhr, wurde sein Auto von der kompletten Fußballmannschaft samt Zuschauerriege mit neugierigen Blicken verfolgt. Na ja, Willis Frau würde sicherlich schneller als die Zeitung von seiner Unschuld berichten. Am benachbarten Golfplatz tummelte sich bereits die Prominenz. Wenn ich hier dieses Jahr noch einen Bock schießen will, muss ich wohl früh aus den Federn, dachte Hannes. Die Golfer waren oft mit den ersten Sonnenstrahlen unterwegs und über die Jagd nicht sonderlich erfreut. Aber wehe, die Sauen gruben ihren englischen Rasen um – dann war das Geschrei immer groß!
Nach 500 Metern bog Hannes rechts in den Wald ein und fuhr einen Teil der Strecke durchs Mehringer Revier, so sparte er einige Kilometer. Die Bäume trugen nun endlich ihr sattes grünes Kleid, so dass die Sonne nur schwer den Boden erreichte. An der Waldkreuzung zum Aulweiher tuckerte er weiter über den Wanderweg Nr. 3 zum Zitronenkreuz. Hannes erreichte das Denkmal schon um kurz nach neun. Er wollte sich den Tatort doch noch mal in Ruhe betrachten. Dazu hatte er jedoch keine Gelegenheit. Kommissar Lenz stand bereits neben der Bank, umringt von einer Schar Polizisten. Hannes parkte den Wagen am Feldrand und ging straffen Schrittes auf die Suchmannschaft zu. „Den Anordnungen von Herrn Harenberg ist unbedingt Folge zu leisten!“, hörte er den Kommissar scharf sagen. „Und die Hunde bleiben natürlich im Suchgeschirr! Ach, hier kommt er auch schon!“, bemerkte er überflüssigerweise, als Hannes bereits neben ihm stand.
Weitere Kostenlose Bücher