Das Kreuz des Zitronenkraemers
deshalb war sie hier. Es würde verdammt schwierig werden. Bei dem Gedanken an das Schauspiel, welches sie gleich aufzuführen gedachte, bekam Claire regelrecht Lampenfieber. Hoffentlich klappte alles und Isaac und Newton wussten ihre Rollen noch. Sie spürte, dass sie zu schwitzen begann. „Hier wären wir“, trällerte sie übertrieben fröhlich und öffnete die Doppeltür zum Wohnzimmer. Wie sie erwartet hatte, standen die beiden Hundekörbchen samt darin jeweils liegender Schmusedecke an Ort und Stelle rechts und links vorm Kamin. Wie Möbelpacker übernahmen die Beamten selbstverständlich das Tragen der überdimensionalen Hundebetten und Claire rannte durch den Raum, um die Körbchen noch zusätzlich mit diversen Bällen, Beißseilen und Kauknochen zu befüllen. Sie hob einfach alles auf, was sie finden konnte.
„Wird’s denn gehen?“, fragte Claire eines der Hundekörbchen und versuchte dessen Rand so weit zu verdrehen, dass sie wenigstens die Haarspitzen des dahinter verborgenen Beamten erkennen konnte. „Ja, ja, kein Problem“, hörte sie die Antwort dumpf aus dem Untergrund. „Können wir dann jetzt?“, kam es aus dem anderen Korb.
„Sicher“, bestätigte Claire, „ich denke, wir haben jetzt das Wichtigste für die Kleinen.“
Der Rückweg gestaltete sich etwas langsamer, da die Polizisten mit ihrer sperrigen Last ständig irgendwelchen Bilderrahmen, Schränken oder Vasen ausweichen mussten. Endlich hatten alle die Eingangshalle heil erreicht.
Im Vorbeigehen schnappte sich Claire die Hundepfeife von der Garderobe. Sobald sie die Haustür geöffnet hatte, blies sie, unbemerkt von den momentan etwas sehbehinderten Polizisten, hinein. Der Pfiff war nicht zu hören. Die Frequenz der Hundepfeife lag in Bereichen, die menschlichem Gehör nicht zugängig waren.
Mit einem Stöhnen hatten die beiden Beamten mittlerweile ihre Last zu Boden gelassen, um die Haustür wieder ordnungsgemäß zu verschließen.
Claire kaute sich nervös auf die Lippen. Kommt schon, Jungs, flehte sie. Wenn sie nicht kämen und mitspielen würden, hätte sie ansonsten wohl keinerlei Grund, den Pool aufzusuchen. Was sollte sie denn sonst tun? Etwa so etwas sagen wie: Entschuldigen Sie bitte, ich würde noch gerne eine Runde schwimmen gehen, hätten sie wohl noch so lange Zeit? Nein, damit brauchte sie den Ordnungshütern bestimmt nicht zu kommen.
„Was ist denn das?“, schrie einer der Polizisten und griff augenblicklich nach seiner Waffe. Es hatte geklappt, die Hunde kamen. „Nein!“, schrie Claire den Beamten an, „Bitte, auf keinen Fall schießen, ich schwöre Ihnen, dass die beiden Sie nicht angreifen werden, die wollen doch nur spielen, sind endlich wieder zu Hause. Ab mit euch, geht spielen!“, rief sie den beiden zu.
Und wirklich, die Dobermänner waren weder an Claire noch an den fremden Männern interessiert. Sie drehten ab. Ausgelassen tobten die beiden glücklich über das Grundstück.
Der Polizist ließ die Waffe sinken und atmete hörbar laut aus. „Ich behalte die Waffe einsatzbereit“, fauchte er Claire an, „Wenn einer der Hunde zur Gefahr werden sollte, werde ich davon Gebrauch machen.“ Claire schluckte und setzte eine unschuldige Miene auf: „Dazu wird es sicher nicht kommen, lassen Sie uns gehen.“
Sie hatten etwa die Hälfte des Weges Richtung Tor hinter sich. Ein Pfad führte nach rechts weiter zum Pool. Claire konnte das Wasser in der Sonne glitzern sehen. Die Hunde befanden sich in einer günstigen Position, sie spielten gegenseitiges Hinterherjagen um das Becken herum. Jetzt oder nie, dachte Claire und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sie holte tief Luft und begann zu pfeifen. Sie pfiff den Refrain von „Rescue me“ aus Sister - Act. Darauf waren die Hunde dressiert. Es war Bernds Lieblingsspaß auf jeder Sommerparty. Wochenlang hatte er mit den beiden trainiert. Das Publikum war jedes Mal begeistert.
Und tatsächlich, es funktionierte. Claire konnte es kaum glauben. Newton stürzte sich vor ihren Augen in die Fluten des Pools. Claires plötzliches Pfeifkonzert und das laute Platschen eines Körpers, der auf eine Wasseroberfläche trifft, hatten die Polizisten zum Stehen bleiben veranlasst.
Newton zappelte mittlerweile in großer schauspielerischer Manier in der Mitte des Pools hilflos umher, kommentiert vom lauten und aufgeregten Wimmern seines Kumpels vom Beckenrand.
„Oh mein Gott!“, kreischte Claire. „Er kann doch nicht schwimmen!“, und schon war sie losgerannt.
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