Das Kreuz des Zitronenkraemers
aus dem Jungen geworden war, würde er nie erfahren.
Mittlerweile war tiefe Nacht. Das Schiff hatte angelegt, denn es reiste nur am Tag. Sie schaukelten sanft im ruhigen Wasser. Das andere Schiff und der Junge, ob tot oder lebendig waren nun meilenweit entfernt.
Ambrosius betete immer noch. Irgendwann schmerzten seine Knie und er erhob sich mit einem Stöhnen.
Endlich war er mit Gott im Reinen. Er wusste nun, wie schnell ein Leben vielleicht zu Ende sein konnte. Er wollte in seinem das Richtige tun, solange er es vermochte. Sie sollte selbst entscheiden, welchen Weg sie wählen wollte. Er würde sie in diesem Kloster abliefern. So, wie er es Borse versprochen hatte. Aber er würde zu ihr zurückkehren. So, wie er es ihr versprochen hatte. Dann musste sie entscheiden.
Ambrosius machte sich auf den Weg, sie zu suchen.
*
Giulias Knie zitterten, als sie endlich an Land gingen. Sie hing sich bei Ambrosius ein. Auch er war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Reisen mit Pferd und Wagen schmeckten ihm besser.
Zunächst hatten sie ihre Unterkunft aufgesucht und sich um die verstörten Pferde gekümmert. Solange im Bauch eines Schiffes umhergeschaukelt zu werden ohne Tageslicht und Bewegung, hatte ihnen schwer zu schaffen gemacht.
Vater und Onkel wollten mit ihrer Fracht in dem kleinen Gasthof verweilen, während er und Giulia durch den Koblenzer Markt wandelten. Markt war kein Ausdruck für das, was Ambrosius Augen hier erblickten. Es gab Kaufhäuser aus Stein, mehrere Etagen hoch. Ambrosius beneidete die Kaufleute, die sich solchen Wohlstand leisten konnten. Beschämt dachte er an ihre eigenen Karren aus Holz. Die Händler trugen feine Röcke und Mäntel in allen Farben. Er war mit Giulia in einem Haus, dessen Zweck nur daraus bestand, Gewürze feilzubieten. Schwarzer und weißer Pfeffer, Ingwer, Zimt und Muskatnüsse, Safran und Zucker. Giulia wusste gar nicht, was sie zuerst riechen sollte.
In einem anderen gab es Früchte. Zitronen, Orangen, Feigen und Mandeln. Er sah Flaschen aus gebranntem Ton gefüllt mit Olivenöl und musste an seinen Freund Eduardo denken. Eduardo war sein Nachbar in Lenno und seine Eltern betrieben eine Olivenplantage. Er hatte nicht gewusst, dass Olivenöl in Koblenz verkauft wurde. Auch er könnte Zitronen und Oliven in einem solchen Haus zum Kauf anbieten. Ambrosius versank in seinem Traum. Er stellte sich vor, wie er als reicher Kaufmann in einem dunkelblauen Rock und feinem Hemd seine Kundschaft bediente. Edle Fräulein und reiche Herren, die nur in seinen Kontor kamen, um die besten Südfrüchte der Welt zu erwerben.
„Junge, was glotzt du so? Verschwindet, wenn ihr nichts kaufen wollt!“ Er spürte Giulia an seinem Ärmel aus rauer Wolle zerren. „Komm schon“, flehte sie leise, „lass uns gehen.“
Der Händler verscheuchte die beiden mit einem Wedeln seiner Hand wie lästige Fliegen. Ambrosius kam sich schäbig vor, wie er mit Giulia am Arm die steinerne Treppe hinabflüchtete.
„Eines Tages werde auch ich ein solches Kaufhaus haben, du wirst schon sehen.“ Giulia lachte ihn aus und ging einfach weiter. Der Junge sah ihr nach. Er würde nicht aufgeben, bis er erreicht hätte, was er sich erträumte. Er musste nur den richtigen Plan entwickeln. Ein fahrender Händler würde er nicht sein Leben lang sein. „Du wirst schon sehen!“, rief er Giulia noch einmal hinterher, dann leise, nur für sich selbst: „Mit dir als Frau an meiner Seite, du wirst schon sehen.“
Giulia war bereits im nächsten Verkaufshaus verschwunden. Hier waren sie allerdings noch schneller draußen, als in dem vorherigen. Er hatte die angebotenen Edelsteine und Perlen noch nicht einmal richtig betrachten können, als ein bewaffneter Bediensteter gerufen wurde, um sie wieder rauszuwerfen .
Gemeinsam schlenderten sie nun langsam durch die Gassen von Koblenz und wollten das Gasthaus eigentlich gar nicht erreichen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Ambrosius wusste nicht, was Giulia dachte. Seit jener Nacht auf dem Schiff hatten sie nicht mehr darüber gesprochen. Aber Ambrosius wusste, dass sie nicht in das Kloster wollte. Er hatte auf sie eingeredet. Sie hatte versprochen, es versuchen zu wollen. Er hatte versprochen, zurückzukehren. Er wusste nicht, wann seine Familie die nächste Handelsreise nach Trier unternehmen würde. Aber er hatte es versprochen. Notfalls würde er allein reisen. Zu ihr.
Die ganze Nacht hatten sie sich an den Händen gehalten. Irgendwann war
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