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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Hubschrauber. Er hatte kein Funkgerät, und er war nicht sicher, ob sie überhaupt wussten, wo sie suchen sollten. Sie würden nach ihm forschen, soweit es das Wetter erlaubte, doch bestimmt hielten sie Ausschau nach seinem Geländewagen, doch der war verschwunden, weggeschwemmt von der braunen Flut. Wahrscheinlich würde die Suche tagelang dauern.
    Er schloss die Augen und war sofort kurz davor einzuschlafen, doch es war, als ob das Bewusstsein des Geschlagenseins ihn nicht entkommen lassen wollte und ihn selbst hier heimsuchte, um seinen schläfrigen Geist mit Bildern von der Überflutung und der Niederlage zu belästigen, ihm keine Ruhe zu gönnen, sondern ihn zurückzuzerren in den anhaltenden Schmerz und die Bedrückung des Wachseins. Er rieb sich die Augen, doch wegen des dreckigen Wassers an seinen Händen rieb er sich Sandkörner und Schlamm hinein. Er säuberte einen Finger, so gut es ging, an den schmutzigen Lumpen auf dem Bett und wischte sich die Augen mit etwas Spucke aus, denn er befürchtete, wenn er sich gestatten würde zu weinen, würde er nicht mehr aufhören können.
    Er sah zu der Frau hinüber. Sie tat so, als käme sie allmählich wieder zu sich. Er wünschte, er hätte die Kraft und die Neigung, zu ihr hinzugehen und sie zu schlagen, aber er war zu müde und sich zu sehr der Tatsache bewusst, dass er sich an ihr für die Niederlage einer gesamten Armee rächen würde. Eine einzelne Person büßen zu lassen – schon gar eine hilflose, schielende Frau – wäre ein so kläglicher, jämmerlicher Versuch, eine Entschädigung für eine derart dramatische Niederlage zu erreichen, dass er, selbst wenn er überleben sollte, sich immer dafür schämen würde, so etwas getan zu haben.
    Sie stöhnte dramatisch. Ein kleiner Rotzfaden löste sich von ihrer Nase und fiel auf den schweren Mantel, den sie anhatte.
    Angeekelt wandte er den Blick ab.
    Er hörte sie laut schniefen. Als er wieder hinsah, hatte sie die Augen geöffnet und sah ihn bösartig an. Sie schielte nur leicht, doch dieser Makel ärgerte ihn unerklärlicherweise. Wenn man sie in eine Badewanne stecken und ihr anständige Kleidung geben würde, könnte die Frau fast hübsch aussehen, dachte er. Doch zur Zeit war sie vergraben in einem schmierigen grünen Herrenmantel, der über und über von Schlamm verdreckt war, und ihr schmutziges Gesicht war fast vollkommen verborgen; zum Teil durch den Kragen des schweren Mantels, zum Teil durch ihr langes, verfilztes Haar, das an verschiedenen Stellen von glitzernden Schlammklumpen verkrustet war. Sie bewegte sich auf merkwürdige Weise auf dem Stuhl, als wollte sie sich daran den Rücken kratzen. Er konnte nicht genau erkennen, ob sie die Seile prüfen wollte, mit denen sie gefesselt war, oder ob sie einfach von Flöhen gepeinigt wurde.
    Er bezweifelte, dass sie geschickt worden war, um ihn umzubringen; mit ziemlicher Sicherheit war sie das, worauf ihre Kleidung hindeutet: eine Gehilfin. Wahrscheinlich war sie beim Rückzug zurückgelassen worden, und war herumgewandert, zu verängstigt oder zu stolz oder zu dumm, um sich zu ergeben, bis sie auf den Geländewagen gestoßen war, der in der vom Gewitterregen ausgewaschenen Vertiefung in Schwierigkeiten steckte. Ihr Versuch, ihn umzubringen, war tapfer, aber lachhaft gewesen. Durch reines Glück hatte sie seinen Fahrer mit einem einzigen Schuss getötet; ein zweiter hatte ihm eine Wunde seitlich am Kopf beigebracht, was ihn außer Gefecht setzte, während sie die leere Pistole wegwarf und sich mit ihrem Messer in den Wagen beugte. Der fahrerlose Wagen war einen glitschigen Grashang hinuntergerutscht bis in die reißenden braunen Fluten des Flusses.
    Was für ein törichtes Handeln! Manchmal regten ihn Heldentaten schrecklich auf; sie erschienen ihm wie eine Beleidigung des Soldaten, der sorgsam das Risiko einer Situation abwog und ruhige, kluge Entscheidungen traf, denen Erfahrung und Einfallsreichtum zugrunde lagen; die Art des wenig spektakulären Soldatentums, mit dem man keine Medaillen, sondern Kriege gewann.
    Immer noch benommen von dem Kratzer durch die Kugel, war er in den Fond des Wagens gefallen, während dieser stürzte und schwankte, gefangen in der Macht des angeschwollenen Flusses. Die Frau hatte ihn fast unter dem üppigen, dicken Mantel begraben. Auf diese Weise eingeklemmt, im Kopf immer noch das Sirren des Schusses, der seinen Schädel angekratzt hatte, war er nicht in der Lage gewesen, ihr einen kräftigen Schlag zu versetzen.

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