Das kurze Glueck der Gegenwart
Schriftsteller, Helmut Krausser und Maxim Biller, die in jenem Jahr in zwei verschiedenen Funktionen da sind: Beide vertreten eine neue, weltbezogene Literatur; beide wollen, wie es der – in jenem Jahr zufällig ebenfalls in Klagenfurt lesende – Kollege Matthias Altenburg kurz zuvor in einem programmatischen »Spiegel«-Essay gefordert hat, »sich wieder an jene dirty places begeben, wo Bisse und Küsse so schwer zu unterscheiden sind und wo noch nicht alles durch einen ästhetischen Kodex gezähmt ist«. Schließlich ist auch noch Thomas Hettche vertreten, der in diesem Jahr als Berichterstatter für die FAZ vor Ort ist.
Allesamt sind diese etwa gleich alten Schriftsteller Alphatiere des deutschsprachigen Literaturgeheges. Maxim Biller, geboren 1960, ist schon allein deswegen eine Ausnahmeerscheinung, weil er als One-Man-Show die jüdische Literatur in Deutschland vertritt. Biller ist die junge jüdische Literatur, zugleich ist er die Nemesis der deutschen Literatur, an der er stets leidet wie auch an Deutschland selbst. Anfang der Neunziger war er allerdings vor allem als Journalist bekannt, eher berüchtigt als berühmt ist er durch seine scharfen, bösen und brillanten Texte, vor allem seine Kolumne »Hundert Zeilen Hass« in der Zeitschrift »Tempo«. Bis heute ist Biller ein Querulant geblieben, ein Provokateur, der zu vielem eine starke Meinung hat, manchmal auch starke Argumente, aber einer der wenigen, die die in Verruf geratene oder vergessene Gattung der Polemik tatsächlich beherrschen. Als guter Literat, als Romancier und Verfasser von Kurz- und Kürzestgeschichten, als der er heute zu erkennen ist, war er 1993 allerdings noch ganz am Anfang. Schon damals aber zeichnete sich die Rolle als ewiger Krakeeler ab, ohne den freilich etwas fehlen würde: Biller nervt unendlich, aber zugleich ist er unentbehrlich. In einer Zeitungsumfrage zu literarischen Vorlieben und Aversionen führte er unter der Rubrik »Was ich nicht mag« die großen Romane von Joyce, Musil, Pynchon, DeLillo und Thomas Mann auf, so als hätte er sie tatsächlich gelesen.
Helmut Krausser, Jahrgang 1964, ist ebenfalls ein Großsprecher vor dem Herrn. Restlos überzeugt von seiner theatralischen und literarischen Sendung, ist er in seiner Schelte aller Kritiker und Bedenkenträger maßlos. In seinen sehr klugen und sehr lustigen Tagebüchern, die vielleicht der wichtigste Teil seines Werks sind, ist nachzulesen, wie er seinen Widersachern die Pest an den Hals wünscht. Doch dieses machohafte Gehabe eines Literaturluden ist nur die eine Seite. Zugleich ist Krausser ein hochintelligenter, strategisch denkender Kopf. Bayrischer Regionalmeister im Schach, Sammler antiker Münzen, Ernst-Jünger-Fan und großer Kenner der Musik- und Kunstgeschichte. Der paradoxe Fall eines elitär denkenden Populisten, eines auf Erfolg und Beifall fixierten Einzelgängers. Just 1993 hatte er mit seinem monumentalen Historienroman »Melodien«, der noch im Fahrwasser von Patrick Süskinds Weltbestseller »Das Parfum« schwamm, tatsächlich einen großen Erfolg zu verzeichnen.
Bereits vor Beginn des Wettbewerbs gibt es einen kleinen Eklat. In Klagenfurt ist es üblich, dass jeder Juror zwei Autoren einlädt. Biller hat Krausser nominiert, ja sogar die Geschichte, die dieser lesen wird, aus einem Konvolut ausgesucht: »›Wege des Brennens‹ gefalle ihm sehr, sei ganz großartig, das müsse ich unbedingt nehmen«, notiert Krausser in seinem Tagebuch. Er selbst hätte einen anderen Text gewählt, beugt sich aber. Am Tag vor Beginn des Wettbewerbs kann Krausser der »Süddeutschen« entnehmen, dass sich Biller von ihm distanziert habe, »einzige Begründung: ›Der ist über seinem Erfolg verrückt geworden.‹« Der verstörte Krausser ruft seinen vermeintlichen Mentor an: Maxim Biller, so schreibt Krausser in seinem Tagebuch, »ist überraschend freundlich, kichert die ganze Zeit, tut, als sei Dreckschmeißen das Normalste auf der Welt. Ich sage, hör mal, du kannst dich, einen Tag vor Klagenfurt, nicht einfach von dem Autor, den du einlädst, distanzieren. Er antwortet, Quatsch, das sei doch gut – Hauptsache, im Gespräch bleiben! Ich sage, für solche TV -Maximen habe ich nichts übrig, er lacht bloß.« Dümmer kann es für einen Autor wohl kaum laufen.
In Klagenfurt selbst dann stehen Kraussers Aktien nicht besser, was auch, jedenfalls zum Teil, an Biller liegt. Der geht nämlich seinen Jurykollegen und den Zuhörern im Verlauf der Diskussionen so auf
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