Das Labyrinth des Maal Dweb
ungewöhnlich groß und strahlend. Sie besaßen einen ganz eigenartigen, ins Violette spielenden Farbton, und wie ich verschiedene Male beobachten konnte, hielten sie selbst dem grellsten Lichtschein ohne zu blinzeln stand. Auch seine Hände schienen mir überaus bemerkenswert: Von einzigartiger Feingliedrigkeit, Gelenkigkeit und Kraft, hätten sie einem hervorragenden Chirurgen oder erstrangigen Künstler gehören können.
Die Miene, die der Mann gewöhnlich zur Schau trug, war ein einziges Mysterium. Niemand hätte seine Gedanken lesen können. Und zwar nicht etwa, weil es den Gesichtszügen selbst an Beweglichkeit oder Ausdrucksfähigkeit mangelte. Sondern vielmehr, davon war ich fest überzeugt, aufgrund der unbegreiflich fremdartigen Natur seiner Gedanken und Beweggründe. Ihn umgab eine Aura abseitigen, geheimen Wissens, von tiefer Weisheit und ästhetischer Verfeinerung, die schon an jene Dekadenz grenzte, die früher oder später alle überentwickelten Völker befällt. Wie auch immer man es betrachtete, der Mann war ein unbestreitbares Rätsel. Und fast jeder, der sich – gleich mir – für Chemie begeistert, liebt es, Rätseln auf den Grund zu gehen. Ich beschloss, so viel über Elkins in Erfahrung zu bringen, wie ich nur konnte.
Schon vor dem eigentlichen Beginn unserer Bekanntschaft war ich Elkins einige Male begegnet, auf der Straße, in Bibliotheken und in Museen. Ja, die Häufigkeit, mit der wir einander im unüberschaubaren Babel von New York über den Weg liefen, erschien mir derart auffällig, dass ich schon bald zu dem Schluss gelangte, er müsse ganz in meiner Nähe wohnen und vielleicht sogar ähnlichen Studien obliegen wie ich. Ich zog bei Bibliotheksmitarbeitern und Museumskuratoren Erkundigungen über ihn ein. Aber ich brachte nichts außer seinem Namen und der Tatsache in Erfahrung, dass er die Arbeiten von Havelock Ellis und anderen modernen Kapazitäten über Sexualität gelesen hatte, ferner zahlreiche Bücher über Biologie, Chemie und Physik.
Offenkundig war es ein allgemeines, weit gestreutes Interesse, das ihn ins Metropolitan Museum of Art und an ähnliche Stätten führte. Und doch gab es für mich keinen Zweifel, dass er sich insbesondere mit einigen Zweigen der modernen Wissenschaft und ebenso mit der Archäologie vertraut zu machen suchte. Ich selbst war Chemiker, hatte mich dieser Wissenschaft fast zehn Jahre lang erst als Student und dann als Doktorand verschrieben und anschließend mehrere Jahre in meinem Laboratorium am Washington Square selbstständig experimentiert und Forschungen betrieben. Daher gesellte sich so etwas wie kollegiale Anteilnahme zu meiner Neugier, als ich von Elkins’ Studien erfuhr.
Wie ich herausfand, hatten sich außer mir auch andere von der Erscheinung des Mannes beeindrucken lassen. Doch niemand wusste wirklich etwas über ihn. Er war außerordentlich schweigsam, gab freiwillig nichts über sich selbst preis, befleißigte sich jedoch im Umgang mit Dritten untadeliger Höflichkeit. Offenbar wünschte er keine Freundschaften oder Bekanntschaften zu schließen – kein allzu schwieriges Unterfangen in jedweder Großstadt. Und doch fiel es mir seltsamerweise nicht schwer, seine Bekanntschaft zu machen – was, wie ich später erfuhr, daran lag, dass Elkins von dem Interesse wusste, das ich ihm entgegenbrachte, und dass er mein Interesse aus irgendwelchen Gründen zu erwidern schien.
Ich stieß eines Nachmittags im Monat Mai auf ihn, als er im Metropolitan Museum vor einer Vitrine stand, die Artefakte aus den Hügeln des Mississippi-Tals ausstellte. Allem Anschein nach war er völlig vertieft in das, was er da sah. Ich hatte mich eben dazu entschlossen, ihn unter einem Vorwand anzusprechen. Doch unerwartet kam er mir zuvor.
»Ist es Ihnen jemals in den Sinn gekommen«, begann er mit würdevoller, wohltönender Stimme, »wie viele Zivilisationen es gibt, die auf ewig untergegangen sind, wie viele von ihnen durch Fluten, Eiszeiten und Erdkatastrophen ausgelöscht wurden, aber auch durch tief greifende gesellschaftliche Umbrüche mit den daraus resultierenden Rückfällen in die Barbarei? Und haben Sie schon einmal daran gedacht, dass das heutige New York eines Tages so verfallen und sagenumrankt sein wird wie Troja oder die Ruinenstätten Simbabwes? Dass vielleicht Altertumsforscher nach den Überresten dieser Weltstadt graben werden, tief unter den archäologischen Schichten zahlreicher späterer Städte, und ein paar rostige Geräte mit unklarem
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