Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Und begegnete einem alten Bekannten, den ich niemals in Dubrovnik erwartet hätte.
Antonio Dandolo saß in der Sonne vor einer Schänke. Der Platz vor dem Rektorenpalast war wie gewöhnlich voller Menschen: Einheimische und Seeleute von Schiffen, die im Hafen lagen; Reiche – kenntlich an der Kleidung und jener Haltung, die zu sagen schien: »Mach einen Bogen um mich; ich bin besser als du« – und gewöhnliches Pack wie ich. Ich sah Antonio, aber ich schaute mehrmals hin, bevor ich meinen Augen zu trauen bereit war. Danach beobachtete ich die Umgebung, bis ich einigermaßen sicher war, daß außer mir niemand dem jungen Venezianer Aufmerksamkeit widmete. Schließlich ging ich nah an den Häusern zu der Schänke, vor der er saß. Er schien mißmutig in einen großen Glasbehälter zu starren, der vor ihm auf dem Tisch stand. Fruchtstückchen schwammen darin, Minzeblätter – soweit ich das aus der Entfernung sehen konnte –, und die Flüssigkeit schien aus Wein und Saft zu bestehen. Säften wahrscheinlich.
»Sag bitte nicht laut meinen Namen«, murmelte ich, als ich hinter ihm stand.
Er fuhr herum, starrte mich an, begann zu lächeln und sagte leise: »Ein vertrautes venezianisches Antlitz in der barbarischen Fremde. Was hat dich hergetrieben, Jakko?«
Ich setzte mich zu ihm. »Was trinkst du da?«
»Ein Gemenge aus diesem und jenem, ganz trinkbar. Nun sag schon, wie kommst du her?«
»Das wollte ich dich gerade fragen.«
Antonio hob die Hände über den Kopf und rang sie in der Luft. »Mein Vater«, sagte er klagend. »Das edle alte Haus, die Sippe, die Geschäfte. Bah.«
»Du hattest doch nach Alexandria reisen sollen.«
»Eben.« Er ächzte dramatisch. »Alexandria, Pforte des Morgenlands, Erbe des Altertums, Hort der Gewürze, Heimstatt der schönsten Buhlinnen. So sagt man. Aber die Türken haben uns ja ins Meer geworfen, gewissermaßen; und da kam mein Vater auf die zauberhafte Idee, den blöden Knaben, der endlich etwas Sinnvolles tun soll, hierhin zu schicken, nach Ragusa, um den Handel des Hauses Dandolo zu fördern und Kenntnisse zu horten. Kenntnisse, fürwahr!«
»Du klingst begeistert.«
Er trank von seinem Gemenge. »Die Männer sind abweisend, die Frauen hochmütig, die Söhne anmaßend, die Töchter weggeschlossen, die Geschäfte erledigt ein alter Mann, der sich darin bestens auskennt, weil er seit tausend Jahren nichts anderes getan hat. Was also soll ich hier?«
»Dich entspannen und deiner Jugend beim Entschwinden zusehen.« Ich lachte. »Und wie lange sollst du hier bleiben?«
»Bis ich etwas Großes getan habe. Oder mein Vater mich zurückruft. Oder stirbt. Oder bis ich sterbe. Ich glaube, ich stürbe gern.«
»Nichts überstürzen, mein Freund.«
»Nichts ist so eilig, daß es nicht durch Warten eiliger werden könnte.« Dann pfiff er leise durch die Zähne. »Was macht der denn hier?«
Ich folgte seinen Blicken. Auf der anderen Seite des Platzes, vor dem Rektorenpalast, gingen zwei Männer rasch nach links, zum Tor, das neben dem Hafen zum Berghang, der südöstlichen Vorstadt und der Straße nach Süden führte. Einer war groß und, wie die Verfasser hübscher Novellen wohl schreiben würden, von edler Gestalt und Haltung. Er trug dunkle Kleidung, wirkte aber eher wie ein Soldat denn wie ein Priester. Seine Haut war ebenfalls dunkel – nicht schwarz wie die Kleider; es war ein lichtes Dunkelbraun, wie ich es von Mauren und Berbern kannte. Abends nach dem Überfall, im kargen Licht nach Sonnenuntergang, hatte ich ihn nicht so deutlich betrachten können. Der Mann neben ihm war, wenn ich mich nicht irrte, einer von Katonas Nachtwächtern, aber ohne Uniform.
»Wer ist das?«
Antonio wartete, bis die beiden den Weg zum Tor betreten hatten und hinter einer Gebäudeecke verschwunden waren. »Ein venezianischer Offizier«, sagte er leise, fast flüsternd. »Oder besser: Offizier im Dienste Venedigs. Ein Maure. Heißt al-Tahir oder at-Tahir oder so; sie nennen ihn der Einfachheit halber Otero.«
»Ich nehme an, du kennst ihn aus Venedig, ja? Aber was verblüfft dich daran, daß er hier ist? Du bist ja auch hier.«
»Er ist vor ein paar Monaten mit Nachschub nach Cattaro geschickt worden. Was will er in Ragusa?«
Da Antonio den anderen Mann offenbar nicht kannte, wußte er wohl nicht, wer und was Katona war und daß es durchaus Gründe für die Anwesenheit dieses Mauren geben konnte. Die Türken hielten ja zu diesem Zeitpunkt noch im Norden der verzweigten Bucht von Kotor ihre
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