Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
beherbergt habt.«
»Dumm von uns, was?« Velimir bleckte sein schadhaftes Gebiß.
»Vierzig«, sagte Goran.
Antonio ächzte und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Für vierzig Zechinen kannst du ein halbes Jahr lang Wein trinken und Rindfleisch essen!«
»Dreiundzwanzig«, sagte ich.
»Krumme Zahl.« Velimir neigte den Kopf zur Seite, als ob er von draußen Geräusche gehört hätte.
»Siebenunddreißig«, sagte Goran.
Antonio stöhnte abermals und schloß die Augen; mit dem Hinterkopf stieß er wieder und wieder gegen die Hüttenwand.
»Fünfundzwanzigeinhalb«, sagte ich.
»Wohin soll es denn überhaupt gehen?« sagte Velimir.
»Nach Herceg Novi. Zu den Spaniern.«
»Spanier?« sagte Goran. »Bah. Dreiunddreißig. Eigentlich müßtest du für Spanier noch etwas drauflegen.«
»Dreißig. Letztes Wort.«
»Wirst du schwimmen, wenn ich nein sage?«
»Ich werde wandern.«
»Die holen dich schnell ein.«
»Dann komme ich mit ihnen auf dem Rückweg hier vorbei.«
»Na gut, dreißig.« Goran lächelte. »Hast du denn so viel bei dir?«
»Habe ich. Wir sollten uns jetzt aber beeilen. Wir müssen dein Boot klarmachen, und können wir es zu zweit ...«
Antonio unterbrach mich. »Zu dritt.«
»Du? Was willst du denn auf dem Meer?«
Antonio strich sich über den Hinterkopf; vielleicht war der letzte Rammstoß ein wenig zu hart gewesen. »Ich will mich zur Abwechslung auf dem Wasser langweilen statt immer nur an Land.«
»Ich will dich da nicht hineinziehen, Junge«, sagte ich. »Und bei aller Freundschaft – ich fürchte, ich kann mich nicht auch noch um dich kümmern.«
Antonio nickte. »Das ist auch nicht nötig. Ich kümmere mich um mich selbst.«
Velimir keckerte hohl. »Nett, die jungen Leute, wie?«
Von draußen waren Schritte zu hören. Jemand klopfte an die Tür. Velimir ging und öffnete, sprach leise mit dem frühen Besucher, wandte sich dann an uns und sagte: »Es ist angerichtet, ihr Herren.«
»Was ist angerichtet?« sagte ich.
Goran bückte sich, langte nach etwas und stand auf. In der Hand hielt er einen Reisebeutel, den er sich über die Schulter warf. Antonio erhob sich ebenfalls und ging zum hinteren Fenster. Im fahlen Frühlicht sah ich, wie er sich nach seinem Beutel, dem Degen und einer Mantelrolle bückte.
»Was ...«, sagte ich.
»Als er uns geweckt hat«, sagte Goran, »haben wir uns die Freiheit genommen, alles vorzubereiten. Das Schiff ist bereit zum Auslaufen, und wir sind sechs. Wir müssen ja, wenn wir euch abgesetzt haben, irgendwie wieder zurückkommen.«
Ich war einen Augenblick sprachlos. Gerührt und zugleich beinahe wütend. »Ihr Schweine«, sagte ich. »Soll ich euch jetzt küssen oder verfluchen?«
»Deine Flüche haben wahrscheinlich wenig Wirkung«, sagte Antonio. Er tastete in seiner Jacke nach etwas. »Und deine Küsse? O bitte nein; heb sie für Laura auf. Ich hoffe, es war angenehm mit ihr.«
»Los«, sagte Velimir. Er blies das letzte Ollämpchen aus. »Aufbrechen, ihr Männer! Und ihr Jungs.«
»Und du willst wirklich ...?« sagte ich zu Antonio.
»Ich weiß, ich bin von üppiger Nutzlosigkeit.« Er grinste mich an und zog ein gefaltetes Papier aus einer Innentasche seiner Jacke. »Aber schau, was ich da habe.«
Ich warf einen Blick auf das Papier, das er vor meiner Nase entfaltete. Auch ohne Lampen war es inzwischen hell genug, um die größeren Schriftzeichen entziffern zu können.
»Das ist ...« Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube es nicht.«
»Glaub‘s ruhig. Ein ferman, mein Freund. Ich sollte doch nach Alexandria reisen, erinnerst du dich? Man hat mir den ferman ausgestellt, und dann haben sie beschlossen, dort keine Venezianer mehr zu wollen. Ich habe irgendwie vergessen, ihn zurückzugeben. Er gilt für das ganze Osmanische Reich.«
FÜNFZEHN
Der Weg nach Herceg Novi
Z wei seiner Leute, hatte Goran mir vor einiger Zeit erzählt, seien noch nicht nach Orebić heimgekehrt. Als Antonio mit einer halben Geschichte bei Velimir erschien und die Alten weckte, war Goran losgezogen, um seine beiden Seeleute aus feuchten Armen oder weichen Träumen zu reißen. Sie hatten das Boot schnell bereitgemacht, notdürftig Wasser und Vorräte an Bord gebracht – und als die Sonne aufging, befanden wir uns bereits westlich der Seemauer von Dubrovnik. Aus der Bucht von Gruž hatten wir ein wenig rudern müssen; draußen ging ein kräftiger Nordost, der uns schnell nach Süden trieb.
An Bord eines Seglers ist vielerlei zu flicken; deshalb gab es
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