Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
natürlich Nadel und Faden. Goran stand am Steuer des einmastigen Schiffs – es war seines, nicht das neue, für das er immer noch keinen Käufer gefunden hatte – und sah mit sichtbarem Wohlgefallen zu, wie ich unterhalb der aufgenähten Degenscheide den Bezug des Fiedelkastens auftrennte und einen mehrfach gefalteten Lappen herausholte, in dem hundert Zechinen steckten.
»Ich habe mich von dir zu weit herunterhandeln lassen, wie ich sehe«, sagte er.
»Wie du siehst«, sagte ich, »gibt es einen kleinen Rest, den ich dir nicht in den Rachen stopfen kann, weil ich ihn für Brot und Schuhsohlen brauche.«
»Man kann barfuß gehen.«
Ich faltete den Lappen mit den verbliebenen siebzig Münzen wieder zusammen und vernähte den Bezug. Die goldenen Dukaten lagen auf den Planken neben mir, und die Sonne ließ den geringen Hort gleißen wie einen Staatsschatz.
Als ich mit dem Nähen fertig war, stand ich auf und brachte Goran die Münzen. Er hielt das Steuer mit einer Hand und genoß ganz offensichtlich den Anblick der anderen Handfläche. Dann seufzte er, steckte die Münzen in eine Hosentasche und sagte: »Magst du nicht mein Schifflein jeden Tag mieten? Es wäre gut für mein armes altes Herz. Von den Augen gar nicht zu reden.«
Ich legte Nadel und Faden zurück in die Kiste mit dem Flickzeug und kleinen Gerätschaften. »Dein Herz und deine Augen mögen sich anderswo laben. Wie lange, meinst du, werden wir bis zur Bucht brauchen?«
Goran kniff die Augen zusammen, warf einen Blick auf die langsam vorüberziehende Küste, dann auf die gut gefüllten Segel und wackelte mit dem Kopf. »Wenn der Wind hält – drei, vier Stunden?«
Antonio und ich hatten, so gut es ging, beim Segelsetzen und anderen Verrichtungen geholfen, deren Bezeichnungen wir ebenso wenig kannten wie die Namen der Gegenstände, die wir dabei anzufassen hatten. Nun gab es nichts für uns zu tun. Er saß am Fuß des größeren der beiden Masten und schaute aufs Meer hinaus.
»Willst dich mit dem Dogen streiten, wer von euch sich mit dem Wasser vermählen darf?« Ich setzte mich zu ihm.
Er schnalzte leise. »Ich dachte eben darüber nach, wie es kommt, daß man so lange am Gestade lebt und nichts von dem weiß, was auf dem Wasser geschieht.«
»Möchtest du im nächsten Leben ein Fisch sein?«
»Und von solchen wie Goran und Velimir gefangen und gegessen werden? Ah, nein. Aber wir sollten über meine Beteiligung an der – nennt man das Heuer? Also, die Miete dieses Fuhrwerks. Darüber sollten wir reden.«
»Darüber und über alles andere laß uns reden, wenn wir heil irgendwo angekommen sind. Es wäre sinnlos, jetzt mit Geld herumzuspielen, wenn wir nicht wissen, ob wir nicht gleich von Seeräubern überfallen werden.«
Er lachte. »Das bliebe sich doch gleich. Wenn sie uns alles Geld nehmen, hat es keine Bedeutung, bei wem die Münzen zuletzt gewohnt haben.«
Aber wir fielen nicht in die Hände von Seeräubern, sondern von Venezianern. Als wir die Spitze der Halbinsel umfahren hatten, die die Bucht von Herceg Novi und Kotor im Norden begrenzt, sahen wir die Galeere, die mitten in der Einfahrt lag.
»Venezianisches Gesindel!« schrie Goran. »An die Taue, ihr Landratten; wir müssen hier weg!«
Velimir verschränkte die Arme und spuckte über die Bordwand. »Zu spät«, sagte er. »Das schaffen wir nicht mehr.«
»Wozu denn auch?« Antonio hatte sich erhoben und betrachtete die Galeere. »Ihr vergeßt, ich gehöre zu dem Gesindel. Sie werden uns nicht fressen.«
»Jakko«, sagte Goran, »komm, nimm dein Geld wieder an dich.« Es klang wie eine dringende Bitte, fast wie ein Flehen.
»Meinst du, die nehmen es dir weg?«
»Die nehmen es mir weg, und dir nehmen sie es auch weg. Wenn du es verlierst, habe ich nichts verloren. Bei nächster Gelegenheit kannst du mich ja von neuem bezahlen. Aber wenn sie es mir nehmen, schuldest du mir nichts, und das wird mich zum Weinen bringen.«
»Krummer Hund«, sagte Velimir. »Ob so oder so ...«
Ich weiß nicht, was er weiter sagen wollte; wir hatten uns der Galeere genähert, und vom Achterdeck des Kriegsschiffs wurden wir durch lautes Gebrüll und Gefuchtel mit Arkebusen aufgefordert, beizudrehen und längsseits zu gehen.
Als die Bordwände einander knirschend berührten, sprangen von drüben ein paar Männer zu uns an Deck und machten uns an der Galeere fest. Ein junger Offizier folgte ihnen und musterte uns mit jener überlegenen Anmaßung, wie sie Edle gegenüber gewöhnlichen Sterblichen
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