Das Labyrinth
Platonow und Federow zu beachten, obgleich er, nach Arkadis Überzeugung, wissen mußte, wer sie waren. Er hatte sein ganzes Leben mit sowjetischen Apparatschiks zu tun gehabt, und ein Mann, der sich lange mit Würmern beschäftigt, weiß, wie ein Wurm aussieht. Federow stand im Begriff, das Bündel in seinen Armen fallen zu lassen, als der Hund sich aber zu ihm hindrehte, hielt er die Sachen schützend vor sich.
»Ich habe Tommy gestern abend vorbeigeschickt. Haben Sie ihn gesehen?« fragte Stas.
»Die Sache mit Tommy tut mir leid.«
»Sie haben von dem Unfall gehört?«
»Ich war kurz danach da«, sagte Arkadi.
»Ich möchte wissen, was da geschehen ist.«
»Ich auch«, sagte Arkadi.
Stas’ Augen glänzten mehr als sonst. Als er Platonow und den beladenen Federow ansah, folgte der Hund seinem Blick. Er blickte wieder auf die geöffnete Reisetasche. »Sie können die Stadt nicht verlassen«, sagte er, und es hörte sich wie ein Befehl an.
Platonow mischte sich ein. »Es sind die deutschen Gesetze. Da Renko keinen festen Wohnsitz hat, schickt ihn das Konsulat zurück nach Hause.«
»Bleiben Sie bei mir«, sagte Stas zu Arkadi.
»So einfach ist das nicht«, sagte Platonow. »Einladungen an sowjetische Staatsbürger müssen schriftlich eingereicht und vorher genehmigt werden. Sein Visum ist für ungültig erklärt worden, und er hat bereits sein neues Ticket nach Moskau. Es ist also unmöglich.«
Stas fragte Arkadi: »Können wir jetzt gehen?«
Arkadi zog Federow den Schlüssel zu seinem Schließfach und das Lufthansa-Ticket aus der Tasche, ohne daß Federow Einwände erhoben hätte. Dann sagte er: »Ich habe bereits gepackt.«
Stas ließ den Wagen an. Laika saß auf dem Rücksitz, und Arkadi hatte das Gefühl, daß der Hund ihm nur gestattete, mit seiner Tasche den Beifahrersitz einzunehmen, solange er keine übereilten Bewegungen machte. Als er die Pension verlassen hatte, hatten Platonow und Federow wie Sargträger ausgesehen, denen man gerade die Leiche stahl.
»Danke.«
»Ich hätte da noch einige Fragen«, sagte Stas. »Tommy hatte nicht alle Tassen im Schrank, und er fuhr einen idiotischen Wagen. So ein Trabi macht keine hundert Kilometer, und ich verstehe nicht, wie er die Herrschaft über den Wagen verlieren und so hart gegen die Leitplanke prallen konnte.«
»Ich auch nicht«, sagte Arkadi, »und ich bezweifle, daß genug vom Wagen übrig ist, um der Polizei Aufschlüsse zu geben. Er ist bis auf den Motorblock und die Achsen verbrannt. Tommy hat nicht lange gelitten. Wenn er nicht schon beim Aufprall getötet wurde, hat der Rauch dafür gesorgt. Wir sehen die Flammen, aber man stirbt zuerst am Rauch.«
»Sie haben so etwas schon mal gesehen?«
»Ich habe gesehen, wie ein Mann in Moskau in seinem Wagen verbrannte. Es dauerte nur etwas länger, da es ein besseres Auto war.«
Als er an Rudi dachte, fiel ihm Polina ein. Und Jaak. Wenn er je lebend nach Moskau zurückkehrte, wollte er weniger kritisch sein, empfänglicher für Freundschaften und verdammt viel vorsichtiger, was Autos und Feuer anging.
»Hat Tommy Sie zum Roten Platz gebracht?«
»Sie kennen das Lokal?«
»Renko, es gibt nicht viele Gründe, zu später Stunde noch da oben zu sein. Armer Tommy. Ein Fall verhängnisvoller Russophilie.«
»Anschließend sind wir zu einem Parkplatz gefahren, einer Art mobilem Bordell.«
»Ein ausgezeichneter Platz, um Krankheiten zu verbreiten. Nach dem Gesetz müssen die Frauen alle drei Monate auf Aids untersucht werden. Das heißt, daß sie hier pingeliger mit dem Bier sind, das sie trinken, als mit den Frauen, die sie vögeln. Sex im Auto kann einem überdies eine Schulterverrenkung eintragen, und ich hab schon genug Behinderungen. Ich dachte, ihr beide wolltet euch über die berühmten Schlachten des Großen Vaterländischen Krieges unterhalten.«
»Haben wir auch, eine Zeitlang zumindest.«
»Amerikaner wollen immer nur über den Krieg reden«, sagte Stas.
»Kennen Sie Boris Benz?«
»Nein. Wer ist das?«
Er hatte nicht einen Augenblick mit der Antwort gezögert. Kinder lügen ungeschickt mit großen, weit geöffneten Augen. Erwachsene verraten sich durch kleine Gesten, indem sie den Blick heben, als ob sie in ihrem Gedächtnis herumstocherten, oder sie verbergen die Lüge hinter einem Lächeln.
»Könnten Sie kurz zum Bahnhof fahren?« fragte Arkadi.
Als Stas den Wagen zwischen den Bussen und Taxis auf der Nordseite des Bahnhofs zum Stehen gebracht hatte, sprang Arkadi hinaus
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