Das Labyrinth
und ließ seine Tasche zurück.
»Sie kommen doch wieder?« fragte Stas. »Ich habe das Gefühl, daß Sie gern mit leichtem Gepäck reisen.«
»Nur zwei Minuten.«
Federow mochte Grütze im Kopf haben, aber er wußte, wie der Schlüssel eines Schließfachs aussah, und es war sogar möglich, daß er sich die Nummer gemerkt hatte. Die Zeit für die Benutzung des Fachs war abgelaufen, und Arkadi mußte dem Aufseher vier weitere Mark zahlen, damit er es öffnete. Für den Rest seines Aufenthalts blieben ihm noch siebenundfünfzig Mark übrig.
Als er mit dem Videoband nach draußen ging, versuchte ein Polizist, den Platz, den Stas’ ramponierter Mercedes eingenommen hatte, für einen italienischen Bus freizumachen. Der Bus war herausgeputzt wie eine Gondel und hatte eine unerhört starke, melodiöse Hupe. Je energischer der Fahrer hupte und der Polizist schimpfte, um so lauter bellte Laika zurück.
Stas saß hinter dem Steuer und rauchte eine Zigarette. »Keine Oper«, sagte er zu Arkadi. »Aber auch nicht weit davon entfernt.«
Arkadi begann sich in der Stadt zurechtzufinden. Er sah, daß Stas zunächst nördlich in Richtung von alter und neuer Pinakothek fuhr und dann östlich Richtung Englischer Garten. Ein weißer Porsche, den er bereits am Bahnhof gesehen hatte, blieb die ganze Zeit über hinter ihnen.
»Wer ist also Boris Benz?« fragte Stas.
»Ich weiß es nicht genau. Ein Ostdeutscher, der in München wohnt und nach Moskau reist. Tommy sagte, daß er ihn einmal getroffen hat. Und nach Benz haben wir auch gestern abend gesucht.«
»Wenn Sie mit Tommy zusammen waren, warum waren Sie dann nicht dabei, als der Unfall passierte? Warum sind Sie nicht auch getötet worden?«
»Die Polizei hat mich vorher festgenommen. Ich saß in einem Polizeiwagen, als Tommy verunglückte.«
»Niemand hat erwähnt, daß Sie da waren.«
»Es gab keinen Grund dafür. Ein Unfallbericht ist eine kurze, einfache Formalität.« Schiller hatte Arkadi als Zeugen benannt, der »beobachtet hatte, wie der Tote in einem Nachtclub an der Autobahn Alkohol zu sich nahm«. Eine kurze, aber treffende Beschreibung, dachte er. »Besonders bei einem Unfall, an dem nur ein fast völlig ausgebrannter Wagen beteiligt ist. Da gibt es nicht viel zu berichten.«
»Ich glaube, da steckt mehr dahinter. Was hat dieser Benz in Moskau gemacht? Warum ermitteln Sie nicht in offizieller Mission? Wo hat Tommy Benz getroffen? Wer hat sie miteinander bekannt gemacht? Warum hat die Polizei Sie aus Tommys Wagen geholt? War es ein Unfall?«
»Hatte Tommy irgendwelche Feinde?« fragte Arkadi.
»Tommy hatte nicht viele Freunde, aber er hatte, soweit ich weiß, auch keine Feinde. Allerdings, warum habe ich nur dieses unheimliche Gefühl, daß jeder, der Ihnen hilft, sich sofort welche schafft? Ich hätte ihn nicht zu Ihnen schicken sollen. Er konnte sich nicht schützen.«
»Können Sie’s?«
Obgleich Stas nicht darauf reagierte, spürte Arkadi den heißen Atem des Hundes in seinem Nacken.
»Laika ist sehr deutsch. Liebt Leder und Bier und mißtraut allen Russen. Ich bin die einzige Ausnahme. Wir sind gleich da.« Er wies auf ein Gebäude, das aussah wie ein vertikaler Garten voller Geranien. »Jeder Balkon ein Biergarten. Ein bayerischer Himmel. Der Balkon mit den Kakteen ist meiner.«
»Danke, aber ich bleibe nicht«, sagte Arkadi.
Stas hielt vor dem Gebäude an und stellte den Motor ab.
»Ich dachte, Sie brauchen eine Unterkunft.«
»Ich brauchte Hilfe, um nicht abgeschoben zu werden. Sie sind sehr großzügig. Danke«, sagte Arkadi.
»Sie können doch nicht einfach so losmarschieren. Hören Sie, Sie haben ja nicht einmal einen Platz zum Schlafen.«
»Richtig.«
»Und Sie haben nicht viel Geld.«
»Richtig.«
»Aber Sie glauben, daß Sie sich in München schon durchschlagen werden?«
»Richtig.«
Stas sagte zu dem Hund: »Er ist so russisch.« Zu Arkadi sagte er: »Sie glauben, daß Ihnen nichts geschehen kann? Wissen Sie, warum Deutschland so sauber und ordentlich ist? Weil die Deutschen jeden Abend die Türken, Polen und Russen von der Straße holen und sie ins Gefängnis stecken, bis sie nach Hause geschickt werden.«
»Vielleicht habe ich ja Glück. Sie sind schließlich auch aufgetaucht, als ich Sie gerade brauchte.«
»Das ist etwas anderes.«
Er wollte weitersprechen, als der Porsche neben ihnen hielt. Der Sportwagen setzte vor und zurück, und ein elektrischer Fensterheber ließ die Scheibe heruntergleiten, so daß Arkadi und Stas
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