Das Labyrinth
eigene Tischler, Packer und sogar eigene Züge. Die Wehrmacht hatte Befehl, die Schienen für uns freizuhalten. Im Herbst hatten wir alle Hände voll zu tun. Bei Einbruch des Winters dann blieben wir vor Moskau stecken.«
Mit einem Cognac schmeckte der Tee besser. Der Bankier lehnte sich mühsam in seinen Sessel zurück. Jede Bewegung, die er macht, dachte Arkadi, ist wahrscheinlich mit Schmerzen verbunden.
»War es das, was Tommy von Ihnen wissen wollte?« fragte er.
»Sachen dieser Art«, sagte Schiller.
»Du hast mir erzählt«, sagte sein Enkel, »du seist vor Moskau gefangengenommen worden und hättest drei Jahre in einem Lager verbracht. Du hast gesagt, ihr hättet euch erst ergeben, als eure Gewehre eingefroren waren.«
»Meine Füße sind erfroren. Um die Wahrheit zu sagen: Als ich gefangengenommen wurde, hatte ich mich in einem unserer Güterwaggons versteckt. Alle SS-Männer wurden auf der Stelle erschossen, und ich wäre wohl auch erschossen worden, hätten die Russen nicht einige der Kisten geöffnet und Ikonen darin gefunden. Es gab eine Reihe von Verhören, die nicht gerade angenehm waren, und ich erklärte mich bereit, Listen von allen Wertgegenständen aufzustellen, die wir an uns gebracht hatten. Schließlich änderte sich die Kriegslage völlig. Ich war nie in einem Lager, nicht einen Tag. Ich zog mit der Roten Armee, zunächst auf der Suche nach den von der SS requirierten Kunstschätzen, dann, als wir weiter nach Westen vordrangen, als Berater einer vom sowjetischen Kulturministerium aufgestellten Truppe, die den Auftrag hatte, besagte Kunstwerke ausfindig zu machen und nach Moskau zu schicken. Stalin hatte eine Liste, Berija hatte eine Liste. Aber wir schickten weit mehr nach Moskau, als auf diesen Listen stand, denn wir stießen auf Kunstwerke, die die SS aus verschiedenen Ländern geraubt hatte - Zeichnungen aus Holland, Gemälde aus Polen. Wir plünderten das Dresdener Museum, die Preußische Staatsbibliothek, Kunstsammlungen in Aachen, Weimar, Magdeburg.«
»Mit anderen Worten, du warst ein Kollaborateur«, sagte Peter Schiller.
»Ich paßte mich an, und ich war nicht der einzige. Als die Russen Berlin einnahmen, wohin zogen sie als erstes? Während die Stadt noch brannte, Hitler noch lebte, waren sie schon in den Museen: Rubens, Rembrandt, das Gold Trojas, unermeßliche Kunstschätze verschwanden und wurden nie wieder gesehen.«
»Waren Sie dabei?« fragte Arkadi.
»Nein. Ich war damals noch in Magdeburg, und als wir dort alles erledigt hatten, gaben die Russen mir einen Wodka. Wir waren drei Jahre zusammengewesen. Ich trug sogar einen Mantel der Roten Armee. Den zogen sie mir jetzt aus, führten mich ein paar Schritte weiter zu einem Feldweg, schossen mir eine Kugel in den Rücken und ließen mich liegen. Sie dachten, ich sei tot. Siehst du, Peter, so hat es sich wirklich abgespielt.«
»Woran war Benz am meisten interessiert?« fragte Arkadi.
»An nichts Besonderem.« Schiller dachte nach. »Ich hatte eher das Gefühl, als ob er seine Liste mit meiner verglich. Im Grunde war er ein primitiver Mann, ein richtiger Russenbankert. Schließlich sprachen wir nur noch davon, wie man Kisten zusammenbaut. Die SS hat Tischler von der Berliner Firma Knauer rekrutiert, dem seinerzeit besten Spezialisten für den Transport von Kunstwerken. Ich habe ihm Skizzen gemacht. Er schien mehr an Nägeln und Holz und dergleichen interessiert als an Kunst.«
»Was meinen Sie mit >Russenbankert«
»Ein allgemein üblicher Ausdruck. Etliche deutsche Mädchen hatten Babys von den hier stationierten Besatzungssoldaten.«
»Benz wurde in Potsdam geboren. Sie meinen, sein Vater war Russe?« fragte Arkadi.
»Den Eindruck hatte ich«, sagte Schiller.
»All die Geschichten, die du mir erzählt hast«, sagte sein Enkel. »Und dabei warst du ein Dieb, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«
Der Bankier schlüpfte wieder in seine Pantoffeln. Er drehte sich so weit zu seinem Enkel um, wie er konnte, ein alter Mann, so zerbrechlich wie auf brutale Weise ehrlich.
»Du hattest nichts damit zu tun. Die Vergangenheit war begraben, aber jetzt kehrt sie wieder zurück. Alles hat seinen Preis. Wenn wir unser Haus und unseren Besitz wiederbekommen, wenn wir heimkehren können, Peter, ist die Wahrheit der Preis, den du dafür zahlen mußt.«
Peter Schiller setzte Arkadi vor Stas’ Wohnung ab und verschwand in der Dunkelheit.
Arkadi schloß die Tür mit dem
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