Das Labyrinth
traditionellen Platz hoch oben in einer Ecke, wie in einem Bauernhaus vor der Revolution. Ihr dickes, dunkles Holz war gesprungen, was ihre leuchtenden Augen nicht weniger lebendig erscheinen ließ.
Schiller schenkte Tee ein. Er trug ein Stützkorsett unter seinem Morgenmantel, wie Arkadi bemerkte, und bewegte sich von der Hüfte aufwärts mit steifer Grandezza.
»Ich muß mich entschuldigen, ich habe keine kandierten Früchte. Ich erinnere mich, daß die Russen ihren Tee gern mit kandierten Früchten nehmen.«
Sein Enkel ging auf und ab.
»Nur zu«, sagte sein Großvater. »Es ist gut für den Teppich.« Er wandte sich an Arkadi. »Als Junge marschierte Peter Kilometer auf diesem Teppich hin und her. Er hatte schon immer zuviel Energie. Er kann nichts dafür.«
»Wieso hatte der Amerikaner deine Nummer?«
»Sein Buch, dieses idiotische Buch. Er war einer dieser Menschen, die sich auf die absonderlichsten Dinge versteifen. Er hat mich dauernd belästigt, aber ich habe mich geweigert, ihm ein Interview zu geben. Ich nehme an, daß er es war, der Benz meinen Namen gegeben hat.«
»Die Bank hatte nichts damit zu tun?« fragte Arkadi.
Schiller gestattete sich die Andeutung eines Lächelns. »Die Bayern-Franken würde eher in die dunkle Seite des Mondes investieren als in die Sowjetunion. Benz ist aus persönlichen Gründen zu mir gekommen.«
»Benz ist ein Zuhälter«, sagte der Jüngere. »Mit einer ganzen Blase von Nutten draußen vor der Stadt. Was für einen Grund sollte er haben, mit dir in Verbindung zu treten?«
»Immobilien.«
»Es ging um Geschäfte?« fragte Arkadi.
Der alte Mann nahm einen Schluck Tee. Die Tasse hatte einen vergoldeten Rand. »Vor dem Krieg hatten wir eine eigene Bank in Berlin. Wir sind nicht aus Bayern.« Er warf seinem Enkel einen besorgten Blick zu. »Unsere Familie lebte in Potsdam, etwas außerhalb. Wir hatten auch ein Sommerhaus an der Ostsee. Ich habe es Peter oft beschrieben. Ein herrlicher Platz. Bank und Häuser, alles lag im Sowjetischen Sektor und dann in der DDR. Wir haben unseren Besitz erst an die Russen und dann an die Ostdeutschen verloren.«
Arkadi sagte: »Ich dachte, mit der Wiedervereinigung würde Privatbesitz zurückerstattet.«
»Oh, ja. Die ehemalige DDR wird heute von ihren Geistern heimgesucht. Aber wir bekommen nichts, da laut Gesetz Grundstücke von der Rückgabe ausgeschlossen sind, die zwischen 1945 und ’49 enteignet wurden, der Zeit, in der auch wir unseren Besitz verloren. Das dachte ich jedenfalls, bevor Benz an mich herantrat.«
»Was hat er gesagt?« fragte Arkadi.
»Er stellte sich mir als eine Art Immobilienmakler vor und teilte mir mit, daß Unklarheit darüber bestehe, wann genau unser Potsdamer Haus konfisziert wurde. Als die Russen noch das Sagen hatten, standen viele Gebäude einfach jahrelang leer. Grundbucheintragungen waren verlorengegangen oder verbrannt. Benz sagte, er könne mir möglicherweise Dokumente beschaffen, die unseren Anspruch untermauerten.«
Schiller drehte sich steif in seinem Sessel um. »Es war auch deinetwegen, Peter. Er sagte, er könnte uns überdies helfen, das Sommerhaus zurückzubekommen. Es könnte alles wieder uns gehören.«
»Für wieviel?« fragte Peter Schiller.
»Er wollte kein Geld, sondern Informationen.«
»Bankinformationen?«
Schiller war beleidigt. »Persönliche Informationen.« Der Bankier schlüpfte aus seinen Pantoffeln. Seine Füße waren braungefleckt, mit gelben Nägeln. Zwei Zehen fehlten. »Abgefroren«, sagte er mit einem Blick nach unten. »Ich sollte in Spanien leben. Peter, du weißt, wo der Cognac steht. Mir ist kalt.«
»Sie waren an der Ostfront?« fragte Arkadi. »Wo genau?«
Schiller räusperte sich. »Ich war bei einer Sondereinheit.«
»Einer Sondereinheit?«
»Ich weiß, was Sie denken. Andere Sondereinheiten haben Juden zusammengetrieben, aber ich habe nichts dergleichen getan. Mein Vater wollte nicht, daß ich in die vorderste Frontlinie kam, also hat er dafür gesorgt, daß ich zu einer SS-Truppe abkommandiert wurde, die dem Vormarsch folgte. Ich war ja fast noch ein Junge damals, jünger als ihr beide. Er sagte mir, daß ich Kunstschätze retten könnte, und er hatte recht: Ohne uns hätten sich Tausende von Gemälden, Schmuckstücken und unersetzlichen Büchern in Luft aufgelöst, wären verbrannt, eingeschmolzen oder gestohlen worden. Wir haben buchstäblich die Kultur gerettet. Nach einer festen Liste. Göring hatte eine, Goebbels eine andere. Wir hatten
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